Im zweiten Teil seines Beitrags regt der bekannte Völkerrechtler und ehemalige UNO-Mitarbeiter Alfred M. de Zayas eine internationale Friedenskonferenz unter der Federführung von China und Indien an. Mit dem Nordatlantikpakt rechnet der Amerikaner in ungewohnter Schärfe ab. Lesen Sie von unserem Autor auch die große Abhandlung „Das Jahrhundertverbrechen“ über die Vertreibung der Ostdeutschen in COMPACT-Geschichte „Polens verschwiegene Schuld“. Unsere Antwort an Warschau. Hier mehr erfahren.
Teil 1 dieses Beitrags finden Sie hier.
_ von Alfred M. de Zayas
Inzwischen hat auch der kroatische Präsident Zoran Milanovic seine Ablehnung gegenüber der EU- und US-Führung zum Ausdruck gebracht und Friedensgespräche zum Ukraine-Konflikt angemahnt. Milanovic bezweifelt, dass die Krim jemals an die Ukraine zurückkehren werde, da sie von vornherein nicht zur Ukraine hätte gehören dürfen, weil die große Mehrheit der Halbinsel keine Ukrainer werden wollen.
In Deutschland sind es Sahra Wagenknecht von der Linkspartei und Oskar Lafontaine, die sich gegen den Krieg in der Ukraine stellen. In den Vereinigten Staaten ist es der republikanische Kongressabgeordnete Matt Gaetz aus Pensacola, Florida, der keine weitere Militärhilfen an die Ukraine zulassen möchte.
Die US-Professoren John Mearsheimer, Richard Falk, Jeffrey Sachs und andere sind sich einig, dass der Krieg in der Ukraine nicht zu gewinnen sei und ein tragfähiger Kompromiss, ein Quid pro quo {mit Gegenleistungen}, gefunden werden müsste, um die Kämpfe zu beenden, bevor sie zu einer atomaren Konfrontation eskalierten. Dennoch, scheinen wir schlafwandelnd auf eine Apokalypse zuzugehen.
Trommelt unentwegt für den Krieg: US-Präsident Joe Biden. Foto: mark reinstein | Shutterstock.com
Es ist merkwürdig, dass Washington einen solchen Krieg ohne Kriegserklärung führen und einhundert Milliarden Dollar verschleudern darf, ohne das amerikanische Volk demokratisch befragt zu haben, ob es das wirklich so will. Ungeachtet der Bedeutung der Enthüllungen Seymour Hershs und ihrer Auswirkungen auf Institutionen der Regierung wird sich wahrscheinlich wenig ändern: Der Würgegriff der Mainstream-Medien scheint so stark, dass die Erkenntnisse eines seriösen Enthüllungsjournalisten einfach beiseitegeschoben werden können, wenn immer diese der gewünschten politischen Linie entgegen stehen.
In unserer dysfunktionalen Demokratie bleiben viele Fakten, bleiben viele Berichte, bleiben viele Bücher ohne Konsequenzen: Der Zug fährt zu schnell und die Dynamik des Geschehens scheint zu verhindern, ihn noch stoppen zu können.
Der 2014 begonnene Ukraine-Konflikt hat sich zu einem Krieg ausgeweitet, der nun schon ein Jahr dauert, an die 200.000 Soldaten und Zivilisten getötet und Milliarden Dollar und Euro verschlungen hat. Kann es unbegrenzte Zeit einfach so weitergehen?
Ich vermag nicht in eine Kristallkugel zu blicken. Es gab mehrere ernstzunehmende Vermittlungsversuche des türkischen Präsidenten Erdogan und des israelischen Premierministers Bennett – beide wurden von Washington torpediert. Es gab Vermittlungsaufrufe von Papst Franziskus, vom mexikanischen Präsidenten Lopez Obrador und vom brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva. Doch alles deutet darauf hin, dass die US-Regierung den Krieg verlängern und noch den letzten Ukrainer gegen Russland verheizen möchte.
Washington ließ seine Friedensinitiative absichtlich scheitern: Israels Premierminister Naftali Bennett. Foto: Ralph Alswang / Brookings Institution, CC BY-NC-ND 2.0, flickr.com
Solange der Proxy-Krieg die Einnahmen sprudeln lässt, wird es weitergehen: Der militärisch-industrielle Komplex hat bereits Milliarden verdient, so wie auch die Gewinne der Ölindustrie für 2022 astronomisch erscheinen.
Selbst wenn Putin in der Ukraine bedeutende militärische Erfolge erzielen sollte, wird der Krieg nicht enden, weil die USA es nie zuließen, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski einer Friedenslösung nachginge. Der Krieg wird weiter eskalieren, bis alle erschöpft sind oder eine menschliche Fehlkalkulation beziehungsweise Computerpanne zum Atomkrieg führt.
Ich würde mir eine Koalition der Präsidenten für den Frieden wünschen, die im UN-Sicherheitsrat und in der Generalversammlung darauf bestünden, dass der Krieg sofort beendet werden muss, weil die Gefahr der nuklearen Vernichtung zu groß erscheint.
Für den Rest der Welt ist es irrelevant, ob die Krim zur Ukraine oder zu Russland gehörte. Die meisten Lateinamerikaner, Afrikaner und Asiaten wissen gar nicht, wo die Krim liegt. Wir im Westen haben kein Recht, den Planeten wegen unserer rein amerikanisch-europäisch-russischen Querelen in den Abgrund zu stürzen.
Welches Land hat genug Einfluss, um sich einzuschalten und zu versuchen, tragfähige Friedensvorschläge zu präsentieren? Vielleicht sollten China und Indien eine internationale Friedenskonferenz einberufen, die alle Parteien auffordert, die Kämpfe einzustellen und das Überleben des ganzen Planeten nicht länger aufs Spiel zu setzen.
Diese Konferenz sollte nicht nur die russische Invasion in der Ukraine verurteilen, sondern auch die Provokationen der Vereinigten Staaten und NATO, die als legitimes Verteidigungsbündnis begann, doch sich über die letzten 30 Jahren zu einer kriminellen Organisation im Sinne der Artikel 9 und 10 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg aus dem Jahr 1945 entwickelte.
_ Prof. Dr. Alfred Maurice de Zayas (*1947) ist US-amerikanischer Völkerrechtler und Historiker. Er war als Sekretär des UN-Menschenrechtsausschusses und Chef der Beschwerdeabteilung im Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte tätig. Von 2012 bis 2018 war er unabhängiger Experte des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung. De Zayas ist Verfasser zahlreicher Gutachten und Bücher zu völkerrechtlichen Fragen und Vertreibungsverbrechen. Dieser Beitrag erschien zuerst auf Unser Mitteleuropa und wurde im Rahmen der Europäischen Medienkooperation von dort übernommen. Überschrift und Illustrationen wurden von unserer Redaktion eingefügt.
Lesen Sie von unserem Autor auch die große Abhandlung „Das Jahrhundertverbrechen“ über die Vertreibung der Ostdeutschen in COMPACT-Geschichte „Polens verschwiegene Schuld – Verbrechen an Deutschen von Versailles bis zur Vertreibung“. Unsere Antwort auf die Reparationsforderungen aus Warschau. Hier bestellen.