Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz: Ohne Diskussion wurde das Bankgeheimnis gestrichen
Zu den vielen Einschränkungen der persönlichen Freiheit, an die die Öffentlichkeit sich schon gewöhnt hat, gehört die schrittweise Aufweichung und allmählich dann faktische Aufhebung des Bankgeheimnisses. Seit vor 16 Jahren, zum 1. April 2005, das „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ in Kraft ist, durch das Banken damals gezwungen wurden, Finanz- und Sozialbehörden Auskünfte über Konten, Depots und Schließfächer zu erteilen, ist diese Entwicklung zu beobachten; zuletzt hat sie sich maßlos beschleunigt. Das auch als „Kontenabrufverfahren“ bekannte Vorgehen, welches durch das damalige Gesetz zum Standardprozedere der Finanzbehörden wurde, erwies sich bald als Einfallstor für das immer weitere Vordringen des Staates in die Privatsphäre der Bürger. Der Zugriff erfolgt dabei automatisch und ohne Wissen der Kontoinhaber.
Offiziell wurde diese staatliche Ermächtigung, wie in solchen Fällen üblich, mit der Kriminalitätsbekämpfung gerechtfertigt. Zweck des Gesetzes, hieß es, „eine gleichmäßige, gerechte Besteuerung aller Bürger zu gewährleisten. Darüber hinaus dient der Kontenabruf unter anderem dazu, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie Sozialleistungsmissbrauch einzudämmen und die Vollstreckung von öffentlichen-rechtlichen und privat-rechtlichen Forderungen zu unterstützen.“ Der Zugriff wurde über die Jahre dann aber stetig ausgeweitet. 2014 wurde auch Gerichtsvollziehern, Jobcentern und allen anderen Sozialbehörden die Möglichkeit zur heimlichen Konteneinsicht gewährt, 2016 wurde die zuvor geltende „Bagatellgrenze” von 500 Euro aufgehoben.
Im Jahr 2017 schaffte der Bundesrat mit dem „Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz” das Bankgeheimnis dann auch offiziell ab, indem Paragraph 30a der Abgabenordnung („Schutz von Bankkunden”), dessen erster Absatz die Finanzbehörden zuvor dazu verpflichtet hatte, „bei der Ermittlung des Sachverhalts auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden besonders Rücksicht zu nehmen”, ersatzlos gestrichen wurde. Damit gehörte die fast 400 Jahre bestehende Tradition eines besonderen Vertrauensschutzes und der Diskretion von Finanzinstituten, die bis dahin fast auf einer Stufe mit der ärztlichen oder anwaltlichen Schweigepflicht oder dem Beichtgeheimnis gestanden hatten, der Vergangenheit an. Zu den weiteren Beschränkungen, die seither wegfielen, gehörten das Verbot der allgemeinen Überwachung von Bankkonten, außerdem das Verbot, Kontodaten, an die der Staat im Zuge der Identitätsprüfung von Kontoinhabern gelangt war, nebenbei für eine Steuererhebung zu verwenden, sowie die Verpflichtung der Behörden, Auskünfte vom Steuerpflichtigen selbst einzufordern, bevor sie sich mit einem entsprechenden Gesuch an dessen Banken wendet.
Bereits 2016, vor der Gesetzesänderung, hatte die Zahl der staatlichen Zugriffe auf Bankkonten bei über 300.000 Fällen gelegen. Lediglich von der FDP kam damals etwas Kritik: Der heutige Verkehrsminister Volker Wissing sprach seinerzeit von einem „Indiz dafür, dass die Kontenabfrage nicht mehr ein Instrument im konkreten Verdachtsfall, sondern zu einem Standardinstrument der Behörden verkommen ist. Der Staat schnüffelt, was das Zeug hält.“ Dieses „Standardinstrument” wurde dann ab 2017 inflationär und stetig ausgeweitet. Im vergangenen Jahr fragte das Bundeszentralamt für Steuern dann bereits 1,14 Millionen Mal die Kontodaten von Bundesbürgern ab. Auf eine Anfrage des CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz nach der Angemessenheit dieses Vorgehens teilte die Bundesregierung mit, sie halte „die Kontenabrufverfahren für ein effizientes und erfolgreiches Mittel, um Steuern und Sozialleistungen gleichmäßig festzusetzen und zu erheben sowie einem Betrug vorzubeugen.“
Vollzogen wurde die damalige sang- und klanglose Beseitigung des Bankgeheimnisses 2017 im trauten Zusammenspiel der damaligen Minister Wolfgang Schäuble und Heiko Maas, ohne dass sich dagegen nennenswerte Empörung geregt hätte. In der politischen Linken genügt bekanntlich schon das Wort „Bank“, um naive und oberflächliche Assoziationen mit Raubtier- oder Manchesterkapitalismus oder Finanzspekulation zu triggern; CDU und SPD waren sich ohnehin einig, die FDP saß damals nicht im Bundestag, und die grüne Service-Opposition hatte ohnehin nichts gegen mehr Überwachung und Kontrolle von Finanzströmen. Auch aus Bankenkreisen kam damals kaum Gegenwind. Lediglich Jürgen Gros, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern, brachte die drohende Gefahr mit einer hellsichtigen Warnung zum Ausdruck: Wenn die Steuerbehörden künftig nach Gutdünken uneingeschränkt Kundendaten durchforsten dürften, wäre dies „ein weiterer Schritt hin zum gläsernen Bürger.“ Heute, eingedenk der Corona-Zäsur, wäre eher zu präzisieren: zum gläsernen Untertanen.
Genau so kam es – und seither sind noch viele weitere Schritte in diese Richtung erfolgt: Mehrere Bargeldobergrenzen wurden eingeführt, am Horizont droht bereits die völlige Abschaffung des Bargelds und damit die Verkümmerung des Bürgers zum lückenlos überwachbaren Subjekt des Staates. Diese Beispiele zeigen einmal mehr, dass Freiheiten, die der Staat einmal einkassiert hat, nie mehr zurückgegeben werden. Gerade in der heutigen Zeit ist dies eine Mahnung, an die man sich erinnern sollte.