Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr im Manöver
Trotz Energieknappheit, Preisexplosionen, Inflation und zunehmender sozialer Unruhen halten die G7-Staaten unerbittlich an ihrem Ukraine-Kurs fest. Statt die früher oder später ohnehin unvermeidlich werdenden Friedensverhandlungen einzufordern, verbleibt man in der Illusion, es könne eine klare militärische Lösung des Krieges geben – idealerweise noch mit einer militärischen Niederlage Russlands; eine nicht nur im Atomzeitalter absurde, aus der Zeit gefallene Vorstellung, die ans Zeitalter der Kabinettskriege erinnert. In Deutschland, wo Realpolitik ein Fremdwort ist und lebens- wie sachfremde Demagogen das Zepter schwingen, überrascht dieses naive Wunschdenken nicht wirklich; doch inzwischen befinden sich auch Regierungen vormaliger Weltmächte auf diesem Dampfer der Vermessenheit.
So ließ gestern die britische Außenministerin Liz Truss in dieser Hinsicht ebenfalls keinerlei Einsicht erkennen: In einem „Welt„-Interview voll aggressiver Durchhalteparolen behauptete sie ernsthaft: „Je mehr wir jetzt tun, desto schneller können wir die Ukraine siegen sehen.“ Mehr noch: Umso schneller würden dann auch die Probleme enden, die „in Hinsicht auf Verteuerung der Lebenshaltungskosten entstanden sind.“ Es gebe, so Truss, „keinen Grund, ausgerechnet jetzt Ausflüchte zu suchen.“ Man müsse sicherstellen, „dass Russland aus der Ukraine gedrängt wird.“ Man dürfe „keinen unfertigen Frieden bekommen“ – womit wohl gemeint sein soll, dass hier kein Verhandlungs- sondern nur ein Siegfrieden in Betracht kommen darf.
Was wir hier staunend hören, hat etwas von der einstigen Sportpalast-Formel „totaler Krieg – kürzester Krieg„, von „Augen zu und durch“ und „lieber Maximaleskalation jetzt als endlose Scharmützel”; es zeugt von just der radikalisierenden Kriegsrhetorik, die man auf europäischem Boden zuletzt vor 80 Jahren von deutschen Politikern vernommen hat – mit bekanntem Ausgang. Davon abgesehen sind Truss` Forderungen bestenfalls als illusorisch zu bezeichnen: Denn dass sich Putin-Russland einfach wie ein geprügelter Hund zurückziehen wird – besonders aus den prorussischen Ostgebieten der Ukraine, die als casus belli gelten können, ist nahezu ausgeschlossen. Die russische Seite wird die Sanktionen und die Entbehrungen des Krieges mit Sicherheit nach weitaus länger aushalten als der Westen die sich aus diesen ergebenden negativen Rückkoppelungen für ihn selbst.
In der Praxis laufen britische Forderungen daher nur auf die unabsehbare Verlängerung des Abnutzungskrieges hinaus – die mehr Menschenleben, mehr Material und mehr Geld (unser Geld!) verschlingen wird. Möglicherweise ist genau das auch das eigentliche britische Ziel: Russland durch den Krieg ökonomisch so lange wie möglich zu belasten. Obwohl die russische Seite auch hier den weitaus längeren Atem haben wird.
Statt aufs diplomatische Parkett zurückzukehren, zerschlagen die G7 – und allen voran ihr Gastgeber, der deutsche Bundeskanzler, lieber schonmal das Porzellan von übermorgen: Olaf Scholz erklärte in Elmau, es werde „keine Rückkehr zum Vorkriegsverhältnis zu Russland” geben. Der Krieg sei „ein tiefer, tiefer Einschnitt in die internationalen Beziehungen.“ Eine trotzige, kurzsichtige und auch geschichtlich unglaublich dumme Aussage – denn Russland wird diesen Konflikt in jedem Fall überdauern, und man kann es nicht von der Weltkarte weghexen, sondern wird sich notgedrungen mit ihm auch in Zukunft arrangieren, wird mit ihm zusammenleben müssen. Eine solche Apodiktik äußerten nicht einmal die Kriegsgegner Nazi-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg.
Auf militärischem Gebiet will man in jeder Hinsicht aufrüsten. Die Ankündigung von NATO-Generalsekretär Jens-Stoltenberg, die Zahl der schnellen Eingreifkräfte („Nato Response Force”, NRF) für Krisenfälle von derzeit rund 40.000 auf über 300.000 zu erhöhen, und die Ergänzung der „multinationalen Gefechtsbataillone” an der NATO-Ostflanke von derzeit rund 1.600 Soldaten um 3.000 bis 5.000 Mann dürfte weniger Russland einschüchtern, sondern es vielmehr Putins Entschlossenheit stärken wir. Es ist daher mehr als fraglich, ob durch diese Eskalationspolitik das „Abschreckungspotential gegen Russland” und die „Verteidigungsfähigkeit der Mitgliedstaaten” wirklich gesteigert werden; auch die Versetzung von erheblich mehr Kräften als bisher in hohe Bereitschaft ist nicht eben die Geste, die man gegenüber einer potentiell zu allem entschlossenen Atommacht als pragmatische vertrauensbildende Maßnahme entgegenbringen sollte.
Zusätzlich sollen auch noch die NATO-Truppen in Polen und im Baltikum verstärkt werden. Wahrscheinlich wird dabei Scholz` großspurige Ankündigung, die multinationalen Kampftruppen in Litauen unter deutscher Führung um weitere multinationale Gefechtsverbände von bis zu 5.000 Mann zu ergänzen, zur weiteren Belastung vor allem für Deutschland: Der Großteil der Brigade soll – „aus Kostengründen” – in Deutschland stationiert werden, um sich dort „konkret für einen Einsatz in Litauen” vorzubereiten. Stoltenberg bezeichnete dies als „größte Neuaufstellung unserer kollektiven Verteidigung und Abschreckung seit dem Kalten Krieg.“ Die offiziellen Beschlüsse sollen auf dem NATO-Gipfel gefasst werden. Es bleibt abzuwarten, was von all diesen Verlautbarungen noch praktisch umgesetzt werden kann, wenn die direkten und indirekten Folgen der Sanktionen weiter auf Deutschland und Europa zurückfallen, wie es derzeit bereits geschieht. Jedenfalls ist die Diktion die typische einer Vorkriegszeit.
Die reichlich einseitige und doppelmoralische Behauptung Scholz, mit dem Angriff auf die Ukraine habe die russische Regierung „alle Vereinbarungen über die Art und Weise der Zusammenarbeit von Staaten” gebrochen, kann übrigens nicht überzeugen. Denn eben diese Vereinbarungen wurden auch von den USA und NATO-Staaten in der Vergangenheit immer wieder gebrochen. Dementsprechend sieht man dies speziell in den – auf ausdrücklichen Wunsch von Scholz eingeladenen – demokratischen Schwellenländern Indien, Indonesien, Argentinien, Südafrika und Senegal ganz anders und mag sich, bei aller Kritik an einem fraglos inakzeptablen Angriffskrieg des Kreml, dieser selbstgerechten Russlandverteufelung nicht anschließen.
Immerhin einigte man sich auf die gemeinsame Erklärung: „Wir verpflichten uns dazu, mit Partnern auf internationaler Ebene auf Frieden und Wohlstand hinzuwirken, und werden uns für Fortschritte auf dem Weg hin zu einer gerechten Welt einsetzen, denn gemeinsam sind wir stärker.“ Weitere Blankoschecks und Milliardenzusagen für die Ukraine wurden – fatal genug – ebenfalls von den G7-Staaten durchgewinkt und man fragt sich mittlerweile, ob man Selenskyjs korruptem Regime damit nicht womöglich noch finanzielle Anreize geben möchte, den Krieg so lange hinauszuzögern wie möglich.
Die übrigen Eckpunkte des G7-Gipfels waren so erwartbar wie schwammig: Vereinbart wurden einmal mehr gemeinsame Anstrengungen für den Klimaschutz, mit dem Ziel, „einen sauberen und gerechten Übergang zur Klimaneutralität zu beschleunigen und gleichzeitig die Energiesicherheit zu gewährleisten.“ Allerdings dürftedie deutsche Bundesregierung, die diese Erklärung als Gipfelgastgeber veröffentlichte, auch die einzige sein, die an diese Quadratur des Kreises glaubt.