Ljudmila Denisowa wurde von den deutschen Medien gern hofiert
von Wladislaw Sankin
Gewiss können in jedem Krieg Soldaten Verbrechen an der Zivilbevölkerung begehen, und russische Militärangehörige dürften hier keine Ausnahme darstellen. Doch der Umgang mit Gruselgeschichten ukrainischer Offizieller deutet viel eher darauf hin, dass zumindest ein Großteil dieser "Storys" ein Lügenkonstrukt ist, um die russische Armee in den Augen der westlichen Bürger zu dämonisieren.
So hat die ehemalige ukrainische Ombudsfrau für Menschenrechte Ljudmila Denisowa, die in der vergangenen Woche wohl mit Blick auf ihre zahlreichen unbewiesenen Horrorgeschichten vom ukrainischen Parlament Werchowna Rada abgewählt wurde, in einem Interview mit einer ukrainischen Nachrichtenplattform eingeräumt, dass ihre Erzählungen über "brutale Vergewaltigungen" seitens russischer Soldaten erfunden sein könnten.
Sie rechtfertigte sich damit, dass sie bei einem Auftritt im italienischen Parlament gespürt habe, dass die Europäer der Ukraine überdrüssig geworden seien. Um das Interesse wieder anzuheizen, habe sie dann begonnen, die angeblichen Sexualverbrechen der russischen Armee mit grausamen Details zu "schmücken". Damit habe sie erreichen wollen, dass Italien und andere europäische Länder Entscheidungen treffen, die die Ukraine und das ukrainische Volk ihrer Meinung nach benötigten.
So nannte sie die EU-skeptische Partei "Fünf Sterne" als Beispiel. Diese Partei sei gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gewesen, aber nach ihrem Auftritt habe einer der Parteichefs ihr Waffenhilfe zugesichert. Die geschasste Menschenrechtsbeauftragte sagte:
"Vielleicht habe ich übertrieben. Aber ich habe versucht, das Ziel zu erreichen, die Welt davon zu überzeugen, Waffen zu liefern und damit Druck auf Russland auszuüben."
Das Interview war jedoch kein Lügengeständnis. Denisowa besteht weiterhin auf der Behauptung, dass sexuelle Gewalt "systematisch" angewandt werde. Sie halte es jedoch nicht für ihre Aufgabe, dies zu beweisen oder die Fälle zu dokumentieren. "Dafür gibt es die Staatsanwaltschaft", sagte Denisowa im Interview. Sie erklärte, dass viele Opfer bereits ins Ausland geflohen seien oder Angst hätten, mit den Behörden über ihre Traumata zu sprechen.
Entlarvend könnte für Denisowa auch ein weiteres Detail sein. Bei ihren Schilderungen hat sie immer wieder auf die Psychologin Alexandra Kwitko verwiesen, die über eine Hotline die Beschwerden von geschädigten Opfern entgegengenommen und an die Ombudsfrau weitergeleitet habe. Oft wurde Kwitko auch direkt von westlichen Medien wie dem US-Sender Radio Liberty zitiert. So nannte sie die Russen in einem Interview "grausame Raschisten", die es vor allem auf junge Mädchen im Alter zwischen 10 und 16 Jahren als Sexualopfer abgesehen hätten. Sie erzählte von einem 14-jährigen Mädchen, das von einem "Okkupanten" schwanger geworden sei und ihr Kind behalten wolle. Insgesamt seien zwölf ungewollte Schwangerschaften (Stand 25. April) bekannt.
Aus ukrainischen Medien ist jedoch bekannt, dass Alexandra Kwitko die jüngste Tochter der Ex-Ombudsfrau ist, der ihre Beteiligungen an diversen Firmen auf der russischen Halbinsel Krim seinerzeit Skandale einbrachten. Ende der 1990er Jahre war die gebürtige Russin Denisowa Wirtschaftsministerin der Autonomen Republik Krim. Später machte die heute 61-Jährige Karriere in der nationalistischen Vaterlandspartei von Julia Timoschenko. Bei ihr entwickelte sich die Produktion von Propaganda-Lügen offenbar zu einer Art Familienunternehmen.
Die schnelle Absetzung der Ex-Ombudsfrau durch das ukrainische Parlament brachte ein offener Brief von ukrainischen Medienschaffenden, Anwälten und Menschenrechtlern ins Rollen, der am 25. Mai veröffentlicht wurde. Die Verfasser der Beschwerde äußerten sich besorgt über die Rhetorik der Ombudsfrau in ihren Beiträgen in den sozialen Medien über Sexualverbrechen während des Krieges. Darin schreiben sie:
"Zum Beispiel: 'Ein Mädchen im Alter von 6 Monaten wurde von den Russen mit einem Teelöffel vergewaltigt', 'zwei von ihnen vergewaltigten Babys oral und anal' und 'eine neun Monate alte Tochter wurde mit einer Kerze vergewaltigt'."
Sie betonten, dass die Ombudsfrau für Menschenrechte als offizielle Person nur geprüfte Informationen an die Medien weitergeben dürfe.
Zu diesem Zeitpunkt haben die Horrorgeschichten über die russischen Vergewaltiger allerdings längst eine Eigendynamik entwickelt. Allein im Mai erschienen in den deutschen Leitmedien dutzende Beiträge mit Verweisen auf Denisowa. So schrieb am 4. Mai das RedaktionsNetzwerk Deutschland mit Verweis auf den Spiegel, dass "russische Soldaten offenbar auch Jungen und Männer vergewaltigten".
"Die UN teilten auf einer Pressekonferenz in Kiew mit, dass es Berichte über die vermehrte Vergewaltigung von Jungen und Männern gebe."
Die Berichte, auf die die UNO verwies, haben allerdings bei Denisowa ihren Ursprung, wie sie es oft selbst in ihren Interviews betonte.
Am 2. Mai fand im Zentrum Liberale Moderne mit der Teilnahme des Europa-Abgeordneten der Grünen Sergey Lagodinsky eine Diskussion unter dem Titel "Russlands genozidaler Krieg gegen die Ukraine: Vergewaltigung als Kriegswaffe" statt. Die Grünen waren die Ersten in der deutschen Politik, die den Vorwurf der sexuellen Gewalt gegen Russland in ihre politische Kommunikation aufgenommen haben. Die Diskussion des grünennahen Thinktanks fand unter der Obhut des Auswärtigen Amtes statt. Die Veranstalter schrieben in die Präambel:
"Im Vernichtungskrieg gegen die Ukraine wurden bisher mindestens 400 Opfer von sexualisierter Gewalt durch russische Soldaten dokumentiert."
Doch wie Denisowa selbst im oben zitierten Interview geschildert hat, sei die Dokumentation der mutmaßlichen Fälle gar nicht ihre Aufgabe gewesen. "Dafür gibt es die Staatsanwaltschaft", sagte sie. Die Strafverfolgungsorgane konnten aber zum Zeitpunkt ihrer Absetzung keine der geschilderten Vorfälle bestätigen. Für die deutsche Politik waren sie jedoch bereits Anfang Mai ein festes Faktum.
Auch in den deutschsprachigen Medien kam Denisowa oft zu Wort – mit den von ihrer Tochter gesammelten Fällen. So schrieb am 24. Mai das österreichische Portal Exxpress:
"Denissowa beschreibt im 'Tagesanzeiger' einige Fälle, in denen russische Soldaten sich in besetzten Gebieten an ukrainischen Frauen vergangen haben sollen. Ein Mädchen (14) soll zum Beispiel in Butscha von fünf Russen vergewaltigt worden sein – sie sei jetzt schwanger."
Erwähnt wird Denisowa auch vom "Flaggschiff" der Qualitätsberichterstattung, dem ZDF:
"Auch die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denissowa, berichtete auf sozialen Medien zuletzt von Vergewaltigungen Minderjähriger durch russische Soldaten."
Solche Meldungen nahm das ZDF zum Anlass, um über den tieferen Sinn dieser Verbrechen zu sinnieren. So schrieb der öffentlich-rechtliche Sender am 21. Mai einen Artikel mit dem Titel "Macht und Demütigung: Vergewaltigung als Kriegswaffe":
"Kriegsberichterstatterin Christine Lamb zufolge wollten Täter den Angehörigen, insbesondere den Männern, so vermitteln: 'Ihr seid schwach. Ihr schafft es nicht, eure Frauen zu beschützen.'"
Die Berliner Zeitung wollte die Meldungen bereits am 7. Mai wissenschaftlich aufziehen und bezeichnete die Vergewaltigungen in der Ukraine als "Waffe des Patriarchats" im Zuge der "Auslöschung" der Ukrainer. Die Berichte von Denisowa offenbarten laut der Osteuropa-Expertin Leandra Bias eine Systematik. Die Verbrechen seien eingebettet in das Narrativ der Entnazifizierung, wo es um die Auslöschung von Teilen der ukrainischen Bevölkerung gehe.
"Vergewaltigung wird also dazu benutzt, die russische Ethnie durchzusetzen."
Die Spiegel-Korrespondenten schafften es sogar ins Kabinett von Denisowa in Kiew und fotografierten dort die Karte von Mariupol, das "von russischen Truppen fast vollständig zerstört" sei – völlig ungeachtet der zahlreichen, auf Videos aufgenommenen Schilderungen der Einwohner, die einstimmig erzählten, dass ihre Wohnhäuser nicht von Russen, sondern von den ukrainischen Streitkräften systematisch zerstört und sie selbst mit Feuerwaffen beschossen worden seien. Obwohl sie ihre Aussagen in der Regel mit Angaben ihrer Namen und Adressen vor den Kameras tätigten, waren diese Schilderungen für den Spiegel nicht erwähnenswert, weil die deutschen Medien sich für die Nachrichten, die die ukrainische Armee diskreditieren könnten, grundsätzlich nicht interessieren.
Dafür aber für die Aussagen von Ex-Ombudsfrau Denisowa, die das Magazin eins zu eins ohne jegliche Quellenkritik oder "Kontextualisierung" übernahm. Allerdings war sie in ihren Schilderungen der sexuellen Gewalt ausgerechnet gegenüber dem Spiegel ungewöhnlich zurückhaltend. "Frauen erzählen, dass sie von russischen Soldaten vergewaltigt wurden", sagte sie lediglich. Dafür warf sie den Russen völlig belegfrei einen brutalen Umgang mit ukrainischen Kriegsgefangenen vor:
"Mich erschreckt vor allem die Brutalität, mit der dieser Krieg geführt wird. Die Genfer Konventionen regulieren, wie man zum Beispiel mit Zivilisten und Kriegsgefangenen umgeht – und die Russische Föderation verletzt all diese Regeln."
Das konnte sie nur behaupten, weil sie sich sicher war, dass der Spiegel sie nicht über die Fälle der auf Video dokumentierten Tötungen und Misshandlungen russischer Kriegsgefangener durch die Ukrainer befragen würde. Das hat die Spiegel-Korrespondentin auch nicht getan. Dafür sinnierten die beiden einträchtig über die Perspektiven, den russischen Präsidenten Wladimir Putin vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuklagen.
Wenig überraschend war daher das Schweigen des Spiegel und anderer hier zitierter Medien zu der skandallösen Absetzung der Menschenrechtsbeauftragten, die für alle überraschend "mitten im Krieg" stattfand. Nur wenige deutsche Medien berichteten darüber, darunter die Deutsche Welle. Ihr zufolge stellte der stellvertretende Vorsitzende des parlamentarischen Geschäftsordnungsausschusses Pawlo Frolow fest, dass Denisowa ihre Medienarbeit unnötig auf zahlreiche Details von "auf unnatürliche Weise begangenen Sexualverbrechen" und Vergewaltigungen von Kindern in den besetzten Gebieten konzentriert habe.
Diese seien nicht durch Beweise gestützt worden, was der Ukraine nur geschadet und die Aufmerksamkeit der Medien von den realen Problemen abgelenkt habe. Inwiefern die Geschichten über "unnatürliche" Sexualverbrechen der Russen der Ukraine geschadet haben könnten, führte die Deutsche Welle allerdings nicht weiter aus.