Auf dem Weg nach Europa: Tausende Afghanen beim Passieren der türkischen Grenze
von Michael Paulwitz
Vom raschen Ende des Marionettenregimes von Kabul nach dem fluchtartigen Abzug der US-Truppen und ihrer Verbündeten konnte nur überrascht sein, wer sich vorsätzlich taub und blind für historische Zusammenhänge und aktuelle Warnzeichen stellte. Massive militärische Präsenz und Geldströme in obszönen Dimensionen haben das „westliche“ Experiment in Afghanistan zwanzig Jahre lang aufrechterhalten. Ohne diese beiden Faktoren fällt es in sich zusammen.
Die Schockwellen reichen weit über das Land am Hindukusch hinaus, das sich noch jeder dauerhaften Besetzung durch fremde Mächte entzogen hat. Eine ganze Region hat die westlichen Mächte als im Ernstfall hilflose Scheinriesen erlebt, die zwar mit Geld um sich zu werfen vermögen, aber entschlossenem Druck nicht standhalten und leicht zu besiegen sind. Ihre Flucht läßt eine islamistische Streitmacht als neuen Machtfaktor zurück, die vom Westen selbst über den Umweg der „Ausbildung“ einer in nichts zerfallenen afghanischen „Regierungsarmee“ hochgerüstet wurde und den Großraum weiter destabilisieren wird. Die geopolitische Dividende aus dem Scheitern der USA und ihrer Alliierten wird die kommende Weltmacht China mit Genugtuung einstreichen und den Kollateralschaden einer absehbaren Massenmigration ihren westlichen Rivalen überlassen.
Deutschlands politische Klasse läßt es nach dieser epochalen Demonstration des Versagens nicht an zusätzlichen Signalen fehlen, die das eigene Land als leichte Beute anbieten. Kaum ein abgelehnter Asylbewerber aus Afghanistan wurde in den vergangenen Jahren zurückgeschickt, selbst Schwerkriminelle und Straftäter nicht; die Nachricht, daß aus dem großzügigen Deutschland kaum einer je zurückmuß, dürfte sich längst in die hintersten Winkel des Hindukusch herumgesprochen haben. Angesichts des Machtwechsels fordern auch die Vereinten Nationen, alle Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen. Musterschüler Deutschland hat diese Geste wieder einmal bereits vorweggenommen.
Vor allem im grün-linken Lager löst die Aussicht auf eine Neuauflage des Asylansturms von 2015 kaum verhohlene Erwartungen aus. Die Vorstöße der Grünen-„Kanzlerkandidatin“ Annalena Baerbock und des Europapolitikers Reinhard Bütikofer zur Öffnung der Grenzen und Aufnahme von Migrantenkontingenten aus Afghanistan in Europa – nach Lage der Dinge heißt das über kurz oder lang: in Deutschland – sind ein weiteres Einladungssignal, das seine Wirkung nicht verfehlen wird.
Nicht nur die Leidtragenden des Taliban-Regimes werden sich auf den Weg machen. Das demographisch vitale Afghanistan hat in den letzten zwanzig Jahren weitaus mehr kampfbereite und -geübte junge Männer hervorgebracht, als das Islamisten-Regime Posten und Verteilstücke vom Kuchen zu bieten hätte. Für die Enttäuschten bleibt als Alternative immer noch, sich als „Verfolgte“ zu stilisieren und Asyl im willigen Deutschland zu begehren.
Die Situation könnte grotesker kaum sein: Eben erst hat Deutschlands Regierung schändlich versagt bei der Aufgabe, die überschaubare Zahl jener Ortskräfte, die den deutschen Truppen gedient und sich dadurch in Lebensgefahr gebracht haben, rechtzeitig zu evakuieren – eine Schmach, die ähnlich lange nachwirken wird wie der Verrat Frankreichs an den Harki, die vor sechzig Jahren beim Abzug aus Algerien zurückgelassen wurden. Dafür werden morgen schon Heerscharen junger Männer an die Türe klopfen, deren frühere Taten niemand kennt.
Der Asylindustrie werden sie willkommen sein. Für Deutschlands Sozialsysteme und die innere Sicherheit ist das aber Dynamit. Dieselben linken Lobbyisten, die heute wohlfeile Klagelieder über die Entrechtung der Frau im Islam der Taliban anstimmen, werden nichts dabei finden, in Gewalt und Frauenverachtung sozialisierte Männer aus diesem Kulturkreis in großer Zahl aufzunehmen und Frauen und Mädchen im eigenen Land in Gefahr zu bringen. Bereits heute sind Migranten aus Afghanistan, die seit dem Willkommensputsch von 2015 in großer Zahl ins Land strömten, als Täter bei brutalen Sexualdelikten wie Gruppenvergewaltigungen dramatisch überrepräsentiert.
Die Beschwörungen, der Asylansturm von 2015 dürfe sich nicht wiederholen, sind leere Rhetorik. Eine heimatnahe Versorgung von Afghanistan-Flüchtlingen, die aus SPD und Union halbherzig angemahnt wird, ist kaum realistisch, solange Deutschland sich international als Magnet für illegale Migration präsentiert. Nachbarländern wie Iran und Tadschikistan ist an Destabilisierung durch Flüchtlingsströme kaum gelegen, und auf den Wegen nach Europa mangelt es nicht an Potentaten, die nur zu gern die Migrationswaffe gegen die moralisch erpreßbaren EU-Europäer einsetzen.
Der türkische Präsident Recep Erdoğan wird nicht zögern, den wachsenden innenpolitischen Druck wegen der jetzt schon hohen Zahl von Migranten aus Syrien und Afghanistan wieder nach Europa abzuleiten. Der weißrussische Potentat Alexander Lukaschenko eifert ihm nach und schleust Migranten aus dem Mittleren Osten nach Westen weiter. Litauen wehrt sich mit einem Grenzzaun, die EU gibt Geld – aber nicht für Sperrmaßnahmen, sondern für eine „humanitäre“ Aufnahme von Migranten, die nach Deutschland weiterziehen wollen. Schon seit längerem steigen die Asylzahlen wieder. Auch die anderen Migrationsrouten über das Mittelmeer und den Balkan sind aktiver denn je. Dem mit sich selbst beschäftigten deutschen Gender-Biotop steht eine unsanfte Kollision mit der Realität bevor – und das etablierte Politikpersonal, das sich in wenigen Wochen zur Wahl stellt, vermittelt nicht den Eindruck, als hätte es auch nur das Ausmaß der Herausforderung begriffen.