von Susan Bonath
Der Bundestag soll eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) beschließen, die drastische Notstandsermächtigungen aufgrund der Pandemie gesetzlich festzurren soll. Einen Parlamentsvorbehalt für einzelne Maßnahmen soll es weiterhin nicht geben. Für die willkürliche Verhängung von Ausgangssperren, Massenquarantäne oder etwa die vorgesehene Pflicht eines Impfnachweises bei Einreise in die Bundesrepublik hätten die Bundesländer dann eine gesetzliche Grundlage. Die einzige Grundlage wären herbei getestete Fallzahlen, Schwellenwerte liegen bei 35 und 50 Positivfällen pro 100.000 Einwohner.
Eine Anhörung am Donnerstag im Bundesausschuss für Gesundheit machte nun deutlich: Ärztekammern und Medizinerverbände ordneten sich unter der politischen Maßgabe der besonderen Gefährlichkeit des Virus weitgehend dem Bestreben der Bundesregierung unter und übten lediglich verhaltene Kritik. Das Gros der angehörten Juristen beklagte hingegen massive rechtliche Mängel. Sie befürchten nicht nur massive Willkür der Exekutive, die von Gerichten möglicherweise gekippt werden könnte. Sie mahnen auch an, dass die Notstandsregeln damit praktisch endlos fortgesetzt werden könnten.
Praxen unter Druck: Ärzte sollen geplante Impfungen sicherstellen
Auf die Fragen der Parlamentarier betonte Gernot Kiefer vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), dass er die Maßnahmen weitgehend für gerechtfertigt halte. Sein einziger Kritikpunkt sei, so Kiefer: "Wir brauchen ein gezieltes Hilfspaket für die Krankenhäuser, die sich auf die Betreuung von COVID-Patienten fixieren müssen." Als Beispiel nannte er eine Finanzierung für freigehaltene Betten auf Intensivstationen. Florian Reuther vom Verband der privaten Krankenkassen pflichtete ihm bei.
Der Epidemiologe Gérard Krause bezeichnete die pandemische Lage als "sehr ernst". Es bestehe die Gefahr, dass Corona-Positive wegen der Vielzahl an Schnelltests und unzulänglicher Meldepflichten untererfasst werden könnten. Lediglich in den Schwellenwerten von 35 und 50 Positivfällen pro 100.000 Einwohner, bei denen die Länder teils harte Maßnahmen verhängen können, hält er für unzureichend. Diese taugten nicht zu einer Bewertung der Gefahr. "Außerdem müssen der Meldefluss zwischen den Behörden beschleunigt und Beschränkungen bei den zu übermittelnden Daten aufgehoben werden", forderte er.
Auch Karsten Scholz von der Bundesärztekammer bemängelte, dass für die Maßnahmen allein die Fallzahlen herangezogen würden. "Es gibt bei der Testung keine einheitliche wissenschaftliche Grundlage", erklärte Scholz. Daher müsse man sich eher auf Krankheitsfälle und den Schutz älterer Personen fixieren. Andreas Gassen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sieht die Gefahr, dass "die Pflicht zur Mitführung eines Impfdokuments bei der Einreise in die Bundesrepublik schnell zum Impfzwang werden könnte". Außerdem kritisierte er die geplante Verpflichtung von Kassenärzten, die anvisierten Impfungen vorzunehmen. Dies stelle einen massiven Eingriff in deren Selbstbestimmung dar.
Sozialverbände bemängeln eingeengten Blickwinkel
Elisabeth Fix von der Caritas sieht Menschen ohne Krankenversicherung, darunter sehr viele Obdachlose, nicht ausreichend geschützt. Neben dem Problem, dass es für Letztere coronabedingt in diesem Winter weniger Notunterkünfte geben werde, habe man ihnen in der Vergangenheit häufig Corona-Tests verwehrt. Nun soll ein Passus im neuen IfSG das ändern. "Darüber bin ich froh", erklärte sie.
Allerdings gebe es massive Probleme in Behinderten-Einrichtungen. Viele Betroffene hätten ein sehr hohes Risiko schwerer Krankheitsverläufe, betonte sie. Daher müsse auch dort viel mehr getestet werden. Dies sei zwar theoretisch möglich. "Nur: Wer führt die Tests dort durch?", fragte sie. In solchen Einrichtungen sei kaum oder kein medizinisches Personal tätig.
Ilona Köster-Steinebach vom Aktionsbündnis Patientensicherheit sieht die Sicht der Bundesregierung zu sehr auf das Coronavirus verengt. Sie forderte "endlich ein Beratungsgremium verschiedener Fachrichtungen, um den Blickwinkel zu erweitern". "Es muss möglich sein, dass bestimmte Organisationen, die etwa schwer chronisch Kranke vertreten, sofort Notlagen melden können", erklärte sie. Diese müssten dann auch angegangen werden. "Dazu braucht es einen kurzen Draht", mahnte Köster-Steinebach.
Juristen befürchten ausufernde Willkür
Rechtsanwalt Tobias Gall kritisierte indes die geplanten Gesetzesänderungen scharf. Es mangele an mehreren Grundsätzen, sagte er. Demnach wurde der Parlamentsvorbehalt ausgehebelt und die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. "Das sind die stärksten Eingriffe in Grundrechte, die vor Kurzem noch undenkbar waren, das ist eine Ermächtigungsgrundlage", betonte er. Ferner überlasse es auch das neue Gesetz weitgehend der Exekutive, bestimmte Maßnahmen um- und durchzusetzen. "Es kann nicht gerechtfertigt sein, solche schweren Eingriffe wie etwa Ausgangssperren auf Basis von Fallzahlen einer gesamten Bevölkerung zuzumuten, die gegen nichts verstoßen hat", erläuterte er.
Auch die Juristin Anika Klafki rügte auf Frage der Linkspartei hin eine "fehlende Bestimmtheit" der Vorgaben. Es sei kein Maß festgelegt. "Da ist nicht verfügt, wann welche Maßnahme verhängt werden darf, warum sie verhängt werden darf und ob das nur für diese COVID-19-Pandemie zutrifft", so Klafki. Sie nannte zum Beispiel die allgemein formulierte Maßnahme Ausgangsbeschränkungen. Das Gesetz erläutere nicht, wann diese erlaubt seien. "Und wie weit kann das gehen, dürfen dann Menschen über lange Zeit ihre Wohnungen nicht verlassen?", fragte sie rhetorisch. Dies sei eine schwerwiegende Freiheitsberaubung, und diese könne nicht auf Basis von Inzidenzwerten verhängt werden. "Zumal das Gesetz überhaupt kein Ende vorsieht", so Klafki. Sie befürchtet, dass die Maßnahmen bei verschiedensten Anlässen wiederholt werden oder endlos fortgeführt werden könnten.
"Es wäre unproblematisch, einen Parlamentsvorbehalt einzubauen", mahnte der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers. Bei so schweren Einschnitten wie etwa Beschränkungen der Reisefreiheit sei das unbedingt nötig. Auch fordert er wie seine beiden Kollegen Klafki und Gall, die Landesbehörden zu einer Begründung für jeweils verhängte Maßnahmen zu verpflichten. Das neue Gesetz ändere an der Ausführung vor Ort praktisch gar nichts, so der Jurist. "Aber wir bekommen ein Legimitätsproblem bei der Bevölkerung", warnte er. "Und auch die Gerichte wissen so nicht, warum etwas wie geregelt wurde", so Möllers.