Das neue Polizeigesetz erlaubt unter anderem Online-Durchsuchungen und Überwachung auch verschlüsselter Kommunikation.
Trotz anhaltender Proteste wurde am Mittwoch in Mecklenburg-Vorpommern der Entwurf zum sogenannten Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) mit Stimmen von SPD, CDU und AfD durchgesetzt.
Ermittler können so mit einer Richtergenehmigung heimlich Wohnungen und Telefongespräche überwachen. Außerdem wird es für sie einfacher, Wohnungen zu betreten oder Videoüberwachungen öffentlicher Plätze anzuordnen. Zudem können Sicherheitsbehörden unbemerkt Computer, Smartphones oder Tablets von Zielpersonen mit Hilfe sogenannter Staatstrojaner ausspähen.
Auch das Abhören und Mitlesen verschlüsselter Kommunikation ("Quellen-TKÜ"), zum Beispiel bei Messenger-Diensten wie WhatsApp, Signal oder Threema, wird den Polizisten in Mecklenburg Vorpommern ermöglicht. Ermittler können damit außerdem "Nutzungsdaten" wie IP-Adressen, Browsertyp, Seitenabrufe oder Besuchsdauer abfragen. Im Rahmen der parallelen Bestandsdatenauskunft können auch Daten wie Passwörter oder PINs angefordert werden. Auch der Einsatz unbemannter Drohnen ist den Ermittlern künftig möglich.
Die Linke in Schwerin hatte Änderungsvorschläge eingebracht, für die es jedoch keine ausreichende Unterstützung gab. Der sicherheitspolitische Sprecher Peter Ritte sagte, dass die neue Art von Online-Durchsuchung und Telekommunikationsüberwachung einen Paradigmenwechsel darstelle und der Schaden dadurch noch nicht abzusehen sei.
Die Grünen im Land sehen das Gesetz als verfassungswidrig an. Die FDP kritisierte, dass unschuldige Bürger hierdurch polizeilicher Überwachung ausgesetzt werden. Und sogar die Jusos im Land distanzierten sich von der Entscheidung der SPD-Abgeordneten in Schwerin. Die Gewerkschaft der Polizei befand die Novelle als zu komplex, so dass es Beamten im Einsatz nicht immer möglich sein werde, die Regelung stets korrekt anzuwenden.
Das Bündnis "SOGenannte Sicherheit" hatte sich im vergangenen Jahr zusammengeschlossen, um Änderungen an dem geplanten Gesetzentwurf durchzusetzen. Sie befürchten massive Verletzungen von Grundrechten. Der Sprecher Peter Madjarov verwies außerdem auf die Vorbehalte, die unter anderem auch vom Deutschen Journalistenverband sowie dem Arbeitskreis Kritischer Juristinnen geübt wurden, welche aber nicht in das Gesetz eingeflossen seien. Madjarov wörtlich:
Dieser Entwurf ist aus Perspektive der Bürger so nicht tragbar. Sollte er trotzdem in seiner aktuellen Form verabschiedet werden, bleibt uns nichts anderes übrig, als mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das SOG M‑V vorzugehen.
Auch der Datenschutzbeauftragte des Landes Heinz Müller hat die geplante Novelle im Vorfeld kritisiert. Unter anderem sei es unzureichend, dass seine Behörde bei Verstößen lediglich eine Beanstandung äußern könne.
In der Tat hatte es in Mecklenburg Vorpommern eine Reihe von Fällen gegeben, in denen Polizisten ihre besonderen Befugnissen missbrauchten, um Daten für persönliche, politische und teils strafrechtlich relevante Zwecke zu beschaffen. Auch Feindeslisten, bei denen es teilweise um geplanten Mord ging, kamen mitunter durch den unerkannten Missbrauch polizeilicher Befugnisse zustande.
Die SPD hingegen verteidigte die neuen Möglichkeiten. Man beteuerte, dass Maßnahmen nur unter Richtervorbehalt angewendet würden und nicht etwa auf Verdacht, sondern nur, wenn Erkenntnisse über Tatsachen vorlägen, dass eine Gefahr für Leib und Leben bestehe. Das neue Polizeigesetz sei eine Antwort auf das digitale Zeitalter, so der SPD- Abgeordnete Manfred Dachner.
In Sozialen Medien verwiesen Kritiker darauf, die bisherige Erfahrung zeige, dass Verbrechen anhand erweiterter Befugnisse nicht verhindert würden, wohl aber der Datenschutz gefährdet sei.
die Quellen-TKÜ sei zwingend notwendig, so dass hessische IM in seiner Stellungnahme. In Hessen kann man seit 2009 verdeckte Eingriffe vornehmen. Fälle bislang: 0! Zwingend notwendig? Wohl kaum...@LinksfraktionMV#ltmv
— Peter Ritter (@petrimv) August 22, 2019
Und sogar wenn in MV durch den richterlichen Vorbehalt die #QuellenTKÜ nur im rechtsstaatl Rahmen einsetzt wird, so ist jeder #Staatstrojaner eine Gefahr für die IT-Sicherheit aller: Journalisten, Bürger, Staaten, Unternehmen... https://t.co/KzdVXZKljF
— Julian (@123JulianN321) August 22, 2019
#Staatstrojaner
— Ökosphäro (@Netzkucker) February 17, 2020
"Zur argumentieren, dass Sie keine Privatsphäre brauchen, weil Sie nichts zu verbergen haben, ist so, als würden Sie sagen, dass Sie keine Freiheit der Meinungsäußerung brauchen, weil Sie nichts zu sagen haben."
Edward Snowdenhttps://t.co/Z4GZi0Zb4X
Vor allem die CDU verteidigte die Reform, deren Ziel die Abwehr schwerer Straftaten wie Terrorismus, Online-Kriminalität und Kinderpornografie sei. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) begrüßte die Novelle. "Die RAF griff früher zum Telefon, der Terrorist von heute nutzt WhatsApp und Co", so Caffier. "Diesem geänderten Nutzungsverhalten muss das Gefahrenabwehrrecht Rechnung tragen." Niemand solle sich "einreden [lassen], dass Mecklenburg-Vorpommern durch das neue Gesetz zum Überwachungsstaat" werde.
Die CDU-Abgeordnete Ann Christin von Allwörden tat Kritik an dem Gesetz als "Horrorszenarien" und wörtlich gar als "kompletten Stuss" ab. Sie selbst gehörte auch während ihrer Zeit in der Politik noch der Polizei in Schleswig-Holstein an.
Der AfD hingegen gehen die neuen Befugnisse nicht weit genug. Fraktionschef Nikolaus Kramer, selbst jahrelang im Polizeidienst, der unter anderem in einem Chat die Leibstandarte SS Adolf Hitler als positiven schwarzen Block darstellte und das Sammeln privater Daten durch Prepper und Polizisten, die einen Umsturz und Mord an Politikern planen verteidigte, forderte noch weitreichendere Befugnisse für die Behörden. So etwa die Möglichkeit, Menschen präventiv in Gewahrsam zu nehmen. Die AfD kritisierte auch die Einrichtung einer Ombudsstelle für die Polizei. Auf diese Weise würde vorsätzlich Misstrauen gegen Beamte geschürt.
Der Sprecher vom Bündnis "SOGenannte Sicherheit" kritisierte hingegen, dass den Bürgern keinerlei Möglichkeit gegeben werde, Fehler seitens der Polizei zu melden. Die Plattform Netzpolitik kritisierte die Vorhaben ebenfalls. Man erinnerte daran, dass es ein ehemaliger SEK-Beamter aus Mecklenburg war, der Munition und Waffen hortete und die rechtsextreme Chatgruppe "Nordkreuz" gründete, deren Mitglieder sich auf einen nicht näher definierten "Tag X" vorbereiteten und Feindeslisten anlegten.
In Brandenburg und Sachsen hatten die Parlamente im vergangenen Jahr ähnliche Vorhaben, darunter die Einführung der Quellen-TKÜ, aus der Novelle des Polizeigesetzes gestrichen.