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„Die Westmedien haben uns geholfen“ – DDR-Kritiker Rolf Henrich über 1989/90. Teil 3

swaine1988
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Autor: SputnikNews
Quelle: https://de.sputniknews.com/ges...
2020-02-09, Ansichten 656
„Die Westmedien haben uns geholfen“ – DDR-Kritiker Rolf Henrich über 1989/90. Teil 3

„Die Westmedien haben uns geholfen“ – DDR-Kritiker Rolf Henrich über 1989/90. Teil 3

Später sei ihm klargeworden, dass der von vielen gehasste SED-Vorsitzende mit der „Neuen Ökonomischen Politik“ (NÖP) versuchte, eine sozialistische Marktwirtschaft zu entwickeln. Es sei darum gegangen, die Antriebsschwäche der sozialistischen Planwirtschaft zu überwinden. Die Betriebe sollten wie die Beschäftigten mehr Selbständigkeit entwickeln können.

Der Reformversuch in der DDR wurde damals von Moskau unterbunden und später Ulbricht durch Erich Honecker ersetzt. „Das war die letzte Chance, die die DDR hatte“, schätzte Henrich im Gespräch ein. 1989 sei es für Reformen bereits zu spät gewesen. „Da waren die Messen gesungen.“

Henrich stimmte dem zu, was unter anderem der Medienwissenschaftler Bernd Okun bereits in den frühen 1990er Jahren feststellte: Ohne die Medien der BRD wären die Ereignisse im Herbst 1989 in der DDR nicht so verlaufen. „Ohne die Zusammenarbeit zwischen der gesamten Bürgerrechtsbewegung 89 und den Westmedien wäre das niemals so schnell gelaufen“, meint der Anwalt heute.

Die westlichen Medien seien der „Hallraum“ für die DDR-Bürgerrechtler gewesen, meint er. „Wir kriegten ja damals am Tag drei, vier Mikrofone vor die Nase gehalten. Da konnten wir hineinsprechen, was wir wollten.“ Das sei dann am Abend über Rundfunk oder Fernsehsender aus der Bundesrepublik gesendet worden.

„Neues Forum war nur zeitliches Projekt“

So habe die Bürgerbewegung die damalige Blockade durch die Medien der DDR überwunden. Ihm sei aber auch immer das Eigeninteresse der westdeutschen Journalisten und Sender klar gewesen. Das führte auch dazu, dass nach der Wahl vom 18. März 1990 die Bürgerbewegten in den Berichten bundesdeutscher Medien kaum noch eine Rolle spielten. Das habe ihn nicht überrascht, sagte der Anwalt dazu.

Er sei damals dagegen gewesen, an der Volkskammer-Wahl am 18. März teilzunehmen, erklärte er. „An Wahlen nehmen Parteien teil. Ich hätte es gern gesehen, wenn wir uns im Januar 1990 geordnet aufgelöst und gesagt hätten: Wir haben unsere Aufgabe erfüllt.“ Wer aus dem Neuen Forum in der Politik bleiben wollte, sei dann in die Politik gegangen, wie Wolfgang Thierse. Er selbst habe sich damals zurückgezogen und wieder angefangen, als Rechtsanwalt zu arbeiten.

Für ihn sei das Neue Forum von Beginn an nur ein zeitlich begrenztes Projekt gewesen, erklärte er. „Ich habe damals immer gesagt: Wir reiten hier auf einer Welle – und die Welle wird irgendwann wieder auslaufen. Sonst hätten wir ganz andere Strukturen bilden müssen, um das zu verstetigen.“

Enttäuschte Hoffnungen und Illusionen

In seinem Erinnerungsbuch „Ausbruch aus der Vormundschaft“, 2019 erschienen, beschreibt er, wie ihn die weitere Entwicklung nach 1990 desillusioniert hat. 30 Jahre später ist Henrich klar, „dass es immer gewisser Illusionen bedarf, damit man überhaupt den Arsch hochkriegt. Hätte ich damals nicht gewisse Illusionen gehabt, wäre ich aus meinem Sessel gar nicht herausgekommen.“

Er habe sich vorgestellt, dass die DDR-Bürger sich nicht nur aus der Vormundschaft der SED-Herrschaft befreien. Henrich hoffte nach seinen Worten, dass die Menschen sich auch danach weiterhin mündig für ihre Interessen einsetzen und einbringen, wie sie es 1989/90 taten. Doch die einstigen DDR-Bürger hätten schnell gelernt, wie es unter bundesdeutschen Verhältnissen funktioniert: „Wer am meisten jammert, kriegt am meisten Aufmerksamkeit.“

Das stört ihn in der Gegenwart an solchen Aufrufen wie dem der sächsischen Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Petra Köpping. In ihrem Buch „Integriert doch erstmal uns! Eine Streitschrift für den Osten“ fordert sie, die Ostdeutschen müssen sich wieder mehr Gehör verschaffen und auch mehr gehört werden. „Wir müssen unser Selbstbewusstsein selber stärken“, so Köppings Anspruch.

„Auch die Bundesrepublik ist vormundschaftlich“

Aus Sicht von Henrich unterstellt eine solche Position, die Menschen seien unmündig und könnten keine Verantwortung für sich selber übernehmen. Das klinge, als müssten sie „an die Hand genommen“ werden. „So kann ich kein Selbstbewusstsein erzeugen“, meinte der Anwalt und verwies dabei auf psychoanalytische Erkenntnisse. Der Aufruf „Sei doch mal selbstbewusster!“ sei eine „paradoxe Intervention“, die ihr Ziel verfehle.

Damit Menschen selber aktiv werden, als mündige Bürger sich einbringen können, müssen entsprechende Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Das stellte Henrich auch mit Blick auf die heutige Bundesrepublik fest. Deren staatliche und politische Strukturen seien auch „sehr vormundschaftlich“, schätzte er ein.

Zu seinen Illusionen in der Endzeit der DDR habe gehört, dass er glaubte, dass sich das verändern könnte. Aber: „Der Ausbruch aus der Vormundschaft hat nicht geklappt. Die ganze Mentalität hat sich nicht verändert. Wie ich im Buch geschrieben habe: Die Leute wollten am liebsten Beamte werden – die Verbeamtung des deutschen Volkes als Ideal.“

„Kritischer Blick auf Verfassungsschutz fehlt“

Eine andere Illusion vor 30 Jahren sei für ihn die gewesen, die sich mit der Auseinandersetzung um das Erbe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), der „Stasi“, verband: Dass diese zu einem kritischen Blick ebenso auf den Verfassungsschutz als bundesdeutschem Inlandsgeheimdienst führen könnte.

Was für den Chef der „Stasi“-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, etwas ganz Anderes ist, weil ein „Geheimdienst in einer Demokratie“, hält Henrich für nicht weniger kritikwürdig. Er belegte das mit einem kleinen Erlebnis: „Ich dachte, ich falle vom Stuhl, als ich in der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ eine Anzeige vom Verfassungsschutz lese: ‚Im Verborgenen Gutes tun. Sichere und sinnvolle Jobs.‘“

Was auch als Großplakat in Berlin zu sehen war, kommentierte der Anwalt: „Man glaubt das doch einfach nicht. Das allein konterkariert doch die ganze Aufarbeitung, wenn die so naiv daherkommen können.“ Ein Inlandsgeheimdienst wie der Verfassungsschutz würde heute viel raffinierter vorgehen „als die Stasi in den 1970er Jahren“.

„Rechtsstaat braucht funktionierenden Sozialstaat“

Seine Kritik untermauerte er mit dem Hinweis auf die nie aufgeklärten Vorgänge um die rechtsextreme „Nationale Bewegung“ in Brandenburg um die Jahrtausendwende. Manches deute dabei auf das Wirken der „Schlapphüte“ im Hintergrund, auf Aktionen „unter falscher Flagge“ hin. Auch hätte das Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD abgelehnt, weil unter deren Funktionären der Verfassungsschutz zu viele „Vertrauensleute“ (V-Leute) habe, erinnerte Henrich.

Aus seiner Sicht enthält das bundesdeutsche Strafgesetzbuch genügend Möglichkeiten, um gegen rechte Straftäter und Organisationen vorzugehen. Um diese zu bekämpfen, sei kein Inlandsgeheimdienst notwendig. „Dieser Verfassungsschutz ist für unseren Rechtsstaat eine systemfremde Einrichtung.“ Er werde von der Politik nur gebraucht und eingesetzt, um politische Gegner zu stigmatisieren, zur „Inlandsrepression“. Nur einige linke Kräfte würden den Inlandsgeheimdienst abschaffen wollen, bedauerte der Anwalt.

Ab 1990 hat er wieder in seinem Beruf gearbeitet, bis 2018. Henrich hat sich seinen kritischen Blick bewahrt. Das zeigt sich nicht nur beim Thema Geheimdienste. So ist für ihn auch klar, dass alle formale Freiheit nichts nutzt, „wenn ich kein Geld in der Tasche habe“. Ebenso, „dass der Rechtsstaat zum guten Funktionieren auch einen funktionierenden Sozialstaat braucht“.

Literaturtipp:
Rolf Henrich: „Ausbruch aus der Vormundschaft – Erinnerungen“
Ch. Links Verlag 2019. 384 Seiten; ISBN: 978-3-96289-035-3; 25 Euro


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