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Sturm auf die Kanaren

swaine1988
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Autor: Pauline Schwarz
Quelle: https://www.anonymousnews.org/...
2024-09-09, Ansichten 80
Sturm auf die Kanaren

Illegale Migranten aus Afrika erreichen die Insel Gran Canaria Gran.

Während Europa nach Italien schaut, wird die spanische Inselgruppe vor Westafrika zunehmend von Migranten überflutet – 2023 verzeichnete Frontex dort einen so hohen Anstieg der irregulären Übertritte wie auf keiner der anderen Hauptrouten nach Europa. Doch das scheint kaum jemanden zu interessieren – die Kanaren werden von der spanischen Regierung und den europäischen Mitgliedsstaaten im Stich gelassen.

von Pauline Schwarz

in Boot neben uns kenterte, wir hörten die Schreie der Ertrinkenden“, erzählt ein 23-jähriger Malier nach fünf Tagen auf hoher See. Wahrscheinlich saß er die ganze Zeit dicht gedrängt in einem „Cayuco“, einem traditionellen mauretanischen Fischerboot – und bangte, ob er und die anderen als Nächstes in den Fluten des Atlantiks vor Westafrika untergehen würden. Es ist Frühjahr 2006. Damals wusste man noch nicht, dass die nächsten Monate als „Cayuco“-Krise in die Geschichte eingehen würden – dass 2006 das Jahr werden würde, in dem so viele illegale Migranten auf die Kanaren kamen wie nie zuvor.

Insgesamt 31.678 Menschen erreichten damals die spanische Inselgruppe vor Afrika, auf der wir Deutschen uns so gerne in die Sonne legen – die Hälfte von ihnen kam aus dem Senegal. 2005 waren es noch 4.715. Man kann sich also vorstellen, dass die Bewohner der Kanaren auf solche Massen nicht vorbereitet waren. Es zeichnete sich zunehmend eine menschliche Katastrophe ab. Die Regierung auf dem Festland musste eingreifen – diplomatisch auf die afrikanischen Staaten einwirken und die anderen europäischen Länder zu Hilfe rufen. Auch das deutsche BKA sprach damals von einer Situation, die „unstreitbar besorgniserregend und gefährlich“ sei.

Man griff zu vielfältigen Maßnahmen, verstärkte unter anderem die Küstenwache, handelte Rückführungsabkommen aus und ließ die Frauen der vielen ertrunkenen Männer in Afrika als eine Art Sprachrohr auftreten – als Botschafter des Todes. Denn laut Menschenrechtsorganisationen ertranken rund 6.000 Menschen auf der „tödlichsten“ von allen Migrationsrouten. Tatsächlich sank die Zahl der illegalen Migranten dank der Maßnahmen und einer Wirtschaftskrise in Spanien, durch die es für die vielen Neuankömmlinge keine Arbeit mehr gab, in den folgenden Jahren drastisch – laut dem Rat der Europäischen Union auf weniger als 1.500 Einreisen pro Jahr.

Doch die kleinen, selbstgebauten Holzboote voller junger Männer kamen zurück. Während 2019 noch 1.775 Personen die Ufer von Lanzarote, Teneriffa, Fuerteventura, El Hierro oder Gran Canaria erreichten, waren es im November 2020 laut einer internen Analyse der EU-Kommission plötzlich 17.911 – das war laut Welt jeder Fünfte der insgesamt 88.550 Migranten, die in diesem Jahr illegal über die südlichen Länder in die EU kamen. In der Analyse ging man davon aus, dass der „Zustrom auf die Kanaren weiter steigt“ – und behielt damit recht.

Das „spanische Lampedusa“

Von November bis Dezember 2020 erhöhte sich die Zahl der illegalen Migranten auf insgesamt 23.000. Das hört sich für so manchen vielleicht erstmal nicht so viel an, denkt man daran, dass 2015 laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 217.237 Menschen unerlaubt nach Deutschland einreisten – doch wir haben 83 Millionen Einwohner auf 357.595 Quadratkilometern Fläche. Auf den Kanaren leben Stand heute 2,2 Millionen Menschen auf einer Fläche von lediglich 7.492 Quadratkilometern. Auch wenn viele Migranten auf das Festland gebracht wurden, kann man sich vorstellen, dass die vielen kleinen Fischerdörfer und Touristenorte der Vulkaninseln völlig überfordert waren.

in Boot neben uns kenterte, wir hörten die Schreie der Ertrinkenden“, erzählt ein 23-jähriger Malier nach fünf Tagen auf hoher See. Wahrscheinlich saß er die ganze Zeit dicht gedrängt in einem „Cayuco“, einem traditionellen mauretanischen Fischerboot – und bangte, ob er und die anderen als Nächstes in den Fluten des Atlantiks vor Westafrika untergehen würden. Es ist Frühjahr 2006. Damals wusste man noch nicht, dass die nächsten Monate als „Cayuco“-Krise in die Geschichte eingehen würden – dass 2006 das Jahr werden würde, in dem so viele illegale Migranten auf die Kanaren kamen wie nie zuvor.

Insgesamt 31.678 Menschen erreichten damals die spanische Inselgruppe vor Afrika, auf der wir Deutschen uns so gerne in die Sonne legen – die Hälfte von ihnen kam aus dem Senegal. 2005 waren es noch 4.715. Man kann sich also vorstellen, dass die Bewohner der Kanaren auf solche Massen nicht vorbereitet waren. Es zeichnete sich zunehmend eine menschliche Katastrophe ab. Die Regierung auf dem Festland musste eingreifen – diplomatisch auf die afrikanischen Staaten einwirken und die anderen europäischen Länder zu Hilfe rufen. Auch das deutsche BKA sprach damals von einer Situation, die „unstreitbar besorgniserregend und gefährlich“ sei.

Man griff zu vielfältigen Maßnahmen, verstärkte unter anderem die Küstenwache, handelte Rückführungsabkommen aus und ließ die Frauen der vielen ertrunkenen Männer in Afrika als eine Art Sprachrohr auftreten – als Botschafter des Todes. Denn laut Menschenrechtsorganisationen ertranken rund 6.000 Menschen auf der „tödlichsten“ von allen Migrationsrouten. Tatsächlich sank die Zahl der illegalen Migranten dank der Maßnahmen und einer Wirtschaftskrise in Spanien, durch die es für die vielen Neuankömmlinge keine Arbeit mehr gab, in den folgenden Jahren drastisch – laut dem Rat der Europäischen Union auf weniger als 1.500 Einreisen pro Jahr.

Doch die kleinen, selbstgebauten Holzboote voller junger Männer kamen zurück. Während 2019 noch 1.775 Personen die Ufer von Lanzarote, Teneriffa, Fuerteventura, El Hierro oder Gran Canaria erreichten, waren es im November 2020 laut einer internen Analyse der EU-Kommission plötzlich 17.911 – das war laut Welt jeder Fünfte der insgesamt 88.550 Migranten, die in diesem Jahr illegal über die südlichen Länder in die EU kamen. In der Analyse ging man davon aus, dass der „Zustrom auf die Kanaren weiter steigt“ – und behielt damit recht.

Das „spanische Lampedusa“

Von November bis Dezember 2020 erhöhte sich die Zahl der illegalen Migranten auf insgesamt 23.000. Das hört sich für so manchen vielleicht erstmal nicht so viel an, denkt man daran, dass 2015 laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 217.237 Menschen unerlaubt nach Deutschland einreisten – doch wir haben 83 Millionen Einwohner auf 357.595 Quadratkilometern Fläche. Auf den Kanaren leben Stand heute 2,2 Millionen Menschen auf einer Fläche von lediglich 7.492 Quadratkilometern. Auch wenn viele Migranten auf das Festland gebracht wurden, kann man sich vorstellen, dass die vielen kleinen Fischerdörfer und Touristenorte der Vulkaninseln völlig überfordert waren.

Die Kanaren „brechen Rekord für Rekord“

Die „westafrikanische“ Migrationsroute, von dem Gebiet um Mauretanien auf die Kanaren, verzeichnete 2023 laut einem Bericht von Frontex einen größeren Anstieg der illegalen Übergänge als jede andere Hauptroute nach Europa. Allein im Januar dieses Jahres kamen laut Reuters 7.270 irreguläre Migranten in ihren „Cayucos“ auf der Inselgruppe an – das entspricht einem Anstieg um fast das 13-fache im Vergleich zu den 566 Migranten im gleichen Monat des Jahres 2023. Bis zum 30. Juni 2024 waren es laut dem spanischen Innenministerium dann 19.257 Migranten, die an Bord von 297 Booten auf den Kanarischen Inseln landeten – gegenüber 7.213 an Bord von 150 Booten im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Der Präsident der Kanarischen Inseln, Fernando Clavijo, sagte laut der Zeitung La Provinza erst vor ein paar Tagen, dass in der letzten Woche „mehr als 2.000 Menschen in ein paar Tagen“ ankamen – in der zweiten Jahreshälfte, insbesondere im Juli, August und September, verstärkt sich die Zahl der Boote deutlich. Das Jahr 2023 sei „leider“ das Jahr „mit den meisten Ankünften in der Geschichte“ gewesen – „und in diesem Jahr 2024 haben wir es mehr als verdoppelt“. Clavijo geht davon aus, dass man zum Ende des Jahres die Zahl von 50.000 Migranten überschreiten werde – und dies sei nur eine erste, „vorsichtige“ Prognose. Denn man „breche Rekord für Rekord“.

Das größte Problem für die Kanaren ist dabei die Zahl der minderjährigen Migranten. Allein im August kamen laut Clavijo 547 unbegleitete unter 18-Jährige auf den Inseln an – und die dürfen nach spanischem Recht nicht weiter auf das spanische Festland gebracht werden. Sie müssen dort betreut werden, wo sie ankommen. Aktuell sind deutlich mehr als 5.000 Minderjährige in den 80 Aufnahmezentren der Inselgruppe untergebracht. Und es werden immer mehr – ständig müssen die Kapazitäten erweitert werden, womit die Inselbewohner alles andere als einverstanden sind.

Die Regelung, Artikel 35 des Ausländergesetzes, führt schon seit Jahren zu Streit zwischen der autonomen kanarischen Regierung und dem Festland. Es gab unzählige Verhandlungen, aber keine Einigung – sodass die Kanaren inzwischen sogar rechtliche Schritte gegen den Staat prüfen. Sie begründen ihr Vorgehen damit, dass eine menschenwürdige Unterbringung nicht länger möglich sei. Clavijo machte kürzlich deutlich, bei wem er die Verantwortung sieht: „Es ist der Staat, der sie mit der Seenotrettung aufgreift, es ist der Staat, der sie zur spanischen Grenze bringt – in diesem Fall auf die Kanarischen Inseln.” Also müsse sich der Staat auch um die Menschen kümmern.

Mehr illegale Migranten als Insel-Bewohner

Doch auf dem Festland will man davon nichts wissen. Clavijo beklagt, dass „die spanische Regierung wegschaut“. Am Montag drohte der kanarische Präsident nun, sich nicht mehr um die minderjährigen Ankömmlinge zu kümmern. Er wies die lokalen NGOs, welche die Aufnahmeeinrichtungen verwalten, an, ohne Genehmigung keine minderjährigen Migranten mehr aufzunehmen. Gleichzeitig ließen die kanarischen Behörden, zum Beispiel auf der kleinen Insel El Hierro, ein Zelt am Hafen errichten. Dort sollen die Migranten vorerst bleiben müssen – in Betreuung staatlicher Akteure.

El Hierro ist die Insel, die derzeit am heftigsten vom Migrantenstrom getroffen wird. Seit die Spanier mit Marokko, dem Senegal, Mauretanien und Gambia Abkommen geschlossen haben, um den Grenzschutz an der Küste zu verschärfen, versuchen die Schiffe Ausweichrouten zu wählen – und die führen zum weit westlich gelegenen El Hierro. Schon 2023 kamen laut dem spanischen Innenministerium 14.535 Menschen auf der Insel an – das entspricht etwa 40 Personen pro Tag. Etwa ein Drittel aller Ankünfte entfallen damit auf die zweitkleinste bewohnte Insel der Kanaren, die gerade einmal 278 Quadratkilometer groß ist – und nur 11.000 Einwohner hat.

Alpidio Armas, der Präsident der Insel, sagte schon Ende letzten Jahres zur Zeitung Teneriffa News: „Wir haben nicht die Mittel, um die Menschen zu versorgen“. Es gibt nicht genug Schlafplätze und keine Infrastruktur für eine ausreichende Versorgung. Die Insel ist weder auf Massentourismus noch auf Masseneinwanderung ausgelegt, sondern auf wenige Individualtouristen, die gerne wandern gehen. Es gibt gerade mal rund 2.000 Betten für Touristen. „Nicht einmal der Bäcker ist darauf vorbereitet, statt bisher 100 plötzlich 1.000 Brote am Tag zu backen“, so Armas.

Und selbst tausend Brote würden wohl nicht reichen. Ende August kamen laut spanischen Medien in nur 48 Stunden knapp tausend illegale Migranten auf der Insel an – das entspricht 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. Es ist also kein Wunder, dass sich immer wieder Protest auf der Insel regt. Im Juli demonstrierten Einwohner in der Hauptstadt von El Hierro mit Schildern wie „Von Solidarischen zu Getäuschten“ und „Stoppt die Mafia und den Menschenhandel“. Sie schlossen sich damit einer Protestwelle auf den verschiedenen Inseln an. Hunderte Menschen gingen in Städten wie Las Palmas oder Santa Cruz auf die Straße. Sie riefen „Wir sind keine Rassisten, wir sind Realisten“ und hielten Schilder mit Aufschriften wie „Stoppt die illegale Einwanderung“ oder „Verteidigt unsere Stadtviertel“ hoch.

Viel genützt hat es ihnen nicht – Hilfe kam weder vom Festland noch aus Brüssel. Dabei könnte man durchaus mehr gegen die illegale Einwanderung tun. Wie der Präsident der Kanarischen Inseln, Fernando Clavijo, vor einiger Zeit betonte, hat das „entschlossene Vorgehen Brüssels im Mittelmeerraum Früchte getragen“. Die Zahl der Migranten sei dort „im letzten Jahr um 65 Prozent zurückgegangen“, während sie „auf der Kanarischen Route um 125 Prozent zugenommen hat“. Wenn sich nichts ändert, droht den spanischen Urlaubsinseln ein ähnliches Schicksal, wie dem griechischen Lesbos oder dem italienischen Lampedusa – ein völliges Zusammenbrechen des Tourismus, aus dem die Inseln den wohl größten Teil ihrer Wirtschaftsleistung ziehen.

Das sollte Europa aber nicht nur wegen des Verlustes eines weiteren Urlaubsortes oder wegen des Schicksals der Inselbewohner zu denken geben. Der Großteil der Migranten – aus Afrika, aber zuletzt zunehmend auch aus Ländern wie Pakistan – bleibt schließlich nicht auf den Kanaren. Sie ziehen weiter aufs Festland und von dort aus überall nach Europa. Trotzdem lässt man die Kanaren im Stich. Clavijo fragt zurecht: „Sind wir nicht auch Spanien und Europa?“


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