Auch wenn Johnson den Brexit am liebsten nun beiseiteschieben will, wird das Thema auch in diesem Jahr weiter die Schlagzeilen in Großbritannien bestimmen. Bis zum 31. Dezember bleibt das Land noch in einer Übergangsphase, in der sich so gut wie nichts ändert, außer dass Großbritannien nicht mehr repräsentiert sein wird in Brüssel. Währenddessen müssen sich beide Seiten über ein Anschlussabkommen einig werden, sonst drohen schwere Konsequenzen für den Handel und weitere Bereiche. Doch die Zeit gilt dafür als äußert knapp und die Vorstellungen auf beiden Seiten klaffen weit auseinander.
Seine Verhandlungsziele für die künftigen Beziehungen will Johnson britischen Medien zufolge nächste Woche vorstellen. Souveränität sei wichtiger als reibungsloser Handel, will er nach einem Bericht des "Telegraph" in einer Rede als Leitlinie ausgeben. Der Bruch zwischen London und Brüssel soll viel klarer ausfallen als unter Johnsons Vorgängerin Theresa May geplant. Er will sein Land von der Anbindung an EU-Regeln frei machen und die Verbindungen weitgehend kappen.
Die EU-Kommission fordert indes eine möglichst enge Anbindung an EU-Standards. Unfaire Subventionen sowie Sozial- oder Umweltdumping dürfe es nicht geben, forderte auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Davon soll abhängen, wie weit Großbritannien Zugang zum Binnenmarkt bekommt.
Die Kommission will nächsten Montag ihrerseits die Verhandlungslinie vorschlagen, die dann noch von den 27 bleibenden Staaten gebilligt werden muss. Ende Februar oder Anfang März geht es dann wirklich an den Verhandlungstisch.
Irlands Premierminister Leo Varadkar zeigte sich hoffnungsvoll. Für den bereits beschlossenen Vertrag seien alle über ihren Schatten gesprungen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die "Welt" (Freitag). Das sei "ein gutes Omen" für die nächste Phase der Verhandlungen.
"Was auch immer geschieht, ich hoffe, dass die Tür immer offen steht, sollte das Vereinigte Königreich jemals entscheiden, zurückkehren zu wollen", hieß es.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble geht nicht davon aus, dass nun auch andere Staaten die EU verlassen. "Die Gefahr sehe ich gebannt, der Ablauf des Brexit hat solche Überlegungen in anderen EU-Ländern eher geschwächt", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Gleichzeitig bedauerte er die Entscheidung der Briten. "Der Brexit ist ein trauriges Ereignis."
Unmittelbar vor dem Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier den Brexit bedauert. Er blicke sehr wehmütig auf die gemeinsame Zeit in der Staatengemeinschaft zurück, sagte der CDU-Politiker am Freitag im ZDF-"Morgenmagazin". "Ich hab immer gerne in meinen europäischen Aktivitäten mit den Briten gesprochen, und wir haben oft Lösungen gefunden. Deshalb ist es schade. Aber wir müssen auch nach vorne blicken und müssen dafür sorgen, dass die Europäische Union stärker wird und nicht schwächer."
ai/dpa