Man stelle sich vor, in Venezuela, Russland oder der Türkei wäre innerhalb von nur zwei Wochen über ein Dutzend sozialer Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger ermordet worden.
Der mediale und politische Aufschrei in der Bundesrepublik wäre enorm, Sondersendungen inklusive. Ganz anders fällt jedoch die Reaktion im Falle Kolumbiens aus. Das Land, das unter anderem aufgrund seiner außergewöhnlichen Lage – als einziges Land in Südamerika mit gleichzeitigem Zugang zu Atlantik und Pazifik – den Status als "globaler NATO-Partner" innehat, verzeichnete allein in den ersten 15 Tagen des neuen Jahrzehnts sage und schreibe 20 Ermordungen sozialer Aktivisten. Der bisher letzte Mord ereignete sich am 15. Januar. Paramilitärs erschossen den Anführer der Bauerngewerkschaft Yordan Tovar vor einem Gemeindehaus im Dorf Teteyé, das zur Gemeinde Puerto Asís im Departement Putumayo gehört.
Der bekannte kolumbianische Anwalt und Menschenrechtsverteidiger Alirio Uribe Muñoz klagte auf Twitter direkt den ultrarechten Präsidenten Kolumbiens Iván Duque an, dem familiäre Verbindungen zu paramilitärischen Todesschwadronen nachgesagt werden:
PRÄSIDENT @IvanDuque. Yordan Tovar ist das 275. Opfer Ihrer Regierung!
Opfer 20 in 2020. Menschenrechtsverteidiger, Gewerkschaft CAMPESINO SINTCAFROMAYO. Er wurde auf dem Bürgersteig von Teteye Puerto Asís, Putumayo, erschossen.
!PRESIDENTE @IvanDuque Yordan Tovar víctima 275 de su Gobierno!
— Alirio Uribe Muñoz (@AlirioUribeMuoz) January 17, 2020
Víctima 20 de 2020.
Defensor DDHH, sindicato CAMPESINO SINTCAFROMAYO. Le disparan vereda Teteye Puerto Asís, Putumayo. pic.twitter.com/fL3hLLNF37
Die über 20 Morde im Januar 2020 an sozialen Aktivisten und Menschenrechtsverteidigern machen zwar Schlagzeilen in Kolumbien, aber kaum darüber hinaus.
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In Deutschland hat bisher nur das Fachportal zu Lateinamerika Amerika21 am 16. Januar einen Artikel dazu veröffentlicht. Der ist allerdings bereits nicht mehr aktuell, da er mit Verweis auf den 13. Januar von 18 Morden an sozialen Aktivisten sprach. Die Zahl hat sich wie dargelegt innerhalb weniger Tage erneut erhöht.
Noch in seiner Neujahrsansprache hatte der kolumbianische Präsident behauptet, dass die Anzahl der Morde an Anführern sozialer und politischer Bewegungen im Jahr 2019 um 25 Prozent zurückgegangen sei. Doch diese Aussage gilt als nicht haltbar. So führt ein Bericht der Vereinten Nationen vom 14. Januar 2020 zur Menschenrechtssituation in Kolumbien aus, dass bis Ende 2019 "die Anzahl der Morde an sozialen Führungspersönlichkeiten seit dem Jahr 2014 einen neuen Höhepunkt erreicht hat". Insbesondere die Morde an Menschenrechtsaktivistinnen habe zugenommen:
Die Ermordungen von weiblichen Menschenrechtsverteidigern haben 2019 im Vergleich zu 2018 um fast 50 Prozent zugenommen.
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Damit stehen die Darstellungen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte im direkten Gegensatz zu den Aussagen des kolumbianischen Präsidenten.
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