„Auch die gnadenlose Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in den vergangenen Jahren fördert psychische Belastungen bei der Arbeit. Befristungen, Leiharbeit, Werkvertragsarbeit, entgrenzte Arbeitszeiten – bei all dem ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen“, heißt es in dem Papier. Zum Zusammenhang zwischen der sogenannten „atypischen Beschäftigung“ und psychischen Erkrankungen hat die Fraktion Ende des Jahres eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet.
Unter „atypische Beschäftigung“ fallen unterschiedliche Beschäftigungsformen, die von der „Norm“ abweichen, wie Teilzeit, Leiharbeit, befristete Beschäftigung, Selbständigkeit, Mehrfachbeschäftigung oder Niedriglohn. Nicht zu allen diesen Bereichen lägen ausreichend Erhebungen vor und die jeweiligen Bedingungen seien nicht vergleichbar, wodurch keine allgemeingültigen Aussagen zum Zusammenhang von Arbeit und psychischer Gesundheit getroffen werden könnten, stellt die Bundesregierung in ihrer Antwort klar. In ihrer umfassenden, auf verschiedene Studien und statistische Zahlen basierenden Antwort offenbart sie dennoch bestimmte Zusammenhänge, die die Aussage der Linken, atypische Beschäftigung könne zur Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit führen, zu stützen scheinen.
So stellt die Bundesregierung fest, dass verschiedene Studien belegen, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen atypischer Beschäftigung und Depression gibt.
„Längsschnittstudien von Kim et al. (2012) und Quesnel-Vallee et al. (2010) geben Hinweise darauf, dass es sich bei atypischer Beschäftigung und Depression um einen kausalen Zusammenhang handelt. Sie berichten über mehrere Messzeitpunkte hinweg, dass atypisch Beschäftigte, die zu Beginn der Erhebung keine depressiven Symptome aufwiesen, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, Depression zu bekommen als Normalbeschäftigte, die ebenfalls zu Beginn keine depressiven Symptome zeigten. Zudem zeigen Bardasi und Francesconi (2004) sowie Kachi et al. (2014) auf, dass Personen, die über einen längeren Zeitraum in atypischen Beschäftigungsformen tätig sind, stärkere Beeinträchtigungen in der psychischen Gesundheit haben.“
Zu Burnout hingegen lägen keine Studien vor, die einen solchen Zusammenhang belegen würden.
Gefragt nach den negativen Effekten auf die Psyche der Beschäftigten in den einzelnen Beschäftigungsformen, macht die Antwort der Bundesregierung deutlich: Vor allem in der Leiharbeit leiden die Beschäftigten häufiger an Beeinträchtigungen der allgemeinen Gesundheit, an Burnout und Depressionen. Als Gründe dafür werden der geringe Handlungsspielraum, die höhere Arbeitsplatzunsicherheit und das geringere Einkommen der Leiharbeiter im Vergleich zur Stammbelegschaft angeführt. Es dürfte wenig überraschen, dass auch in puncto Zufriedenheit Leiharbeiter geringere Werte aufweisen als Normalbeschäftigte. Interessant ist, dass dies nur für männliche Leiharbeiter nachgewiesen werden konnte – Leiharbeiterinnen seien in gleichem Maße zufrieden wie Frauen in einer Normalbeschäftigung.
Und noch etwas wird deutlich: Rund 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland gehen atypischer Beschäftigung nach, die überwiegende Mehrheit ist weiblich und stammt aus den alten Bundesländern. 2018 gingen 925.000 Arbeitnehmer einer Zeitarbeit nach. Die Zahlen für Teilzeitarbeit beziehungsweise geringfügige Beschäftigung lagen bei rund 4,6 Millionen respektive 2 Millionen.
Millionen von Menschen also, die aufgrund ihrer Arbeit einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, an Depressionen, Burnout und anderen seelischen Leiden zu erkranken. Die Linken im Bundestag wollen das nicht hinnehmen und fordern in ihrem Themenpapier eine Anti-Stress-Verordnung, Aufstockung von Personal und Kontrollen der Gewerbeaufsichtsämter sowie stärkere Ahndung von Verstößen. Die Arbeitszeit müsse an den Bedürfnissen der Beschäftigten ausgerichtet werden, mit verbindlichen Ansprüchen und familiengerechten Arbeitszeiten. Freizeit müsse klar abgegrenzt, Abend-, Wochenend- und Schichtarbeit reduziert werden. Auch mehr Mitbestimmungsrechte durch Betriebs- und Personalräte sollen her.