Der Vizevorsitzende des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew (Archivbild)
Der Vizevorsitzende des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew, hat der Zeitung Argumenty i Fakty (AiF) ein exklusives Interview gewährt. Das Gespräch wurde am 28. Juni veröffentlicht. Hierin äußerte sich der frühere russische Präsident über die aktuelle Situation rund um den Ukraine-Krieg und dessen Folgen für die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen.
Litauens Einschränkungen des Gütertransits nach Kaliningrad
Die erste AiF-Frage war den Einschränkungen für den russischen Gütertransit durch Litauen in die Exklave Kaliningrad gewidmet. Auf die Frage, wie Moskau darauf reagieren werde, bezeichnete Medwedew die Entscheidung von Vilnius als lümmelhaft. Es ergebe keinen Sinn, sie zu kommentieren.
"Das ist ein übriger Beweis dessen, dass sich Litauen gar keine Gedanken über die Folgen seiner Schritte macht. Die Verweise darauf, dass Litauen nur gehorsam die von der EU getroffenen Beschlüsse ausführe, retten die Lage nicht."
Medwedew teilte in diesem Zusammenhang mit, dass man beim Beschließen von Sanktionen auch Ausnahmen diskutiere, um somit keine grundsätzlichen zwei- und mehrseitigen Vereinbarungen zu verletzen. Daher sei für das Transitverbot einzig und allein die Regierung in Vilnius verantwortlich.
"Apropos beharrte die EU auf solche Schritte gar nicht, weil sie über mögliche Probleme völlig im Bilde war. Litauen katzbuckelte jedoch liebedienerisch vor den amerikanischen Wohltätern und offenbarte somit seine idiotischen russophoben Einstellungen."
Der Vizechef des russischen Sicherheitsrates kündigte in diesem Zusammenhang "sehr harte" Konsequenzen für das baltische EU-Land an. Er wollte diese jedoch zunächst nicht präzisieren. Es gebe viele wirtschaftliche Möglichkeiten. Es ließen sich auch "asymmetrische Maßnahmen" treffen, die den Konflikt jedoch "kritisch zuspitzen" würden.
"Eine solche Eskalation ist eine schlechte Wahl. Davon werden einfache Bürger Litauens betroffen sein, deren Lebensstandard schon ohnehin nicht der höchste ist, im europäischen Vergleich geradezu armselig."
Während die litauischen Politiker liebedienerten, versuchten die litauischen Bürger, in diesem absurden Theater zu überleben, fügte Medwedew hinzu.
NATO-Mitgliedschaft Finnlands, Schwedens und der Ukraine
Die Zeitung fragte den früheren russischen Präsidenten nach den Folgen eines NATO-Beitritts von Finnland und Schweden für Russland. Auf die Frage, was für Moskau gefährlicher sei, eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO oder die von Finnland und Schweden, sagte Medwedew, dass ein Beitritt der Ukraine zum westlichen Militärbündnis für Russland viel gefährlicher wäre. Er begründete dies unter anderem mit dem Territorialstreit mit der Regierung in Kiew.
"Für uns ist die Krim ein Teil Russlands. Und das bleibt immer so. Jeder Versuch, sich an der Krim zu vergreifen, ist eine Kriegserklärung gegen unser Land. Wenn das ein NATO-Mitgliedsland tut, ist das ein Konflikt mit dem ganzen Atlantischen Bündnis, ein dritter Weltkrieg, eine totale Katastrophe."
Im Gegenteil bringe ein NATO-Beitritt von Finnland und Schweden keine neuen Risiken für Russland mit sich. Russland habe keinen territorialen Streit mit diesen Ländern und das gegenseitige Verhältnis sei zuvor ziemlich respektvoll und freundlich gewesen, sagte Medwedew.
"Wenn sie sich besser und ruhiger innerhalb der Allianz fühlen werden, dann bitte sehr. Die NATO befindet sich ohnehin in der Nähe unseres Landes – auch ohne Schweden und Finnland."
Zugleich versicherte der Vizechef des Sicherheitsrates, dass Moskau zu gewissen Gegenschritten bereit sein werde. Russland werde seine Grenze stärken müssen.
"Der atomfreie Status des Ostseeraums wird passé sein. Die Gruppierung der Bodenkräfte und der Marine wird im Norden wesentlich zunehmen."
Niemand freue sich darüber, auch die die Schweden nicht. Denn es sei nicht die beste Aussicht, an der eigenen Schwelle russische Hyperschallraketen und atomwaffenfähige Schiffe zu haben. Niemand freue sich darüber, dass man in diesem Fall mit den Steuern die Verteidigung unter der NATO-Schirmherrschaft bezahlen werde, anstatt das Geld für Komfort und humanitäre Programme auszugeben. Eine Eskalation in den Beziehungen zu Russland sei eine sinnlose und kostspielige Angelegenheit. Die Finnen wüssten noch, wie viel Geld sie die Errichtung der Mannerheim-Linie gekostet habe und was daraus letztendlich geworden sei, erklärte Medwedew.
Dauer von Sanktionen
Das Blatt wollte ferner wissen, inwieweit sich der Rückzug mehrerer westlicher Unternehmen aus Russland auf die Sicherheit des Lanes auswirke und was die Regierung unternehme, um die Folgen abzufedern. Medwedew betonte in seiner Antwort, dass die technologische Souveränität eine der Voraussetzungen für die Unabhängigkeit und Sicherheit Russlands sei. Das Land befinde sich bereits seit Jahren unter Sanktionsdruck. Die jüngsten Sanktionspakete seien da keine Überraschung geworden. Der Ex-Präsident erklärte diese westlichen Handlungen mit Handelskriegen, Kämpfen um Einfluss und dem Wunsch, die Entwicklung Russlands aufzuhalten.
"Alle Länder, die die Sanktionen verhängt haben, sind Satelliten der USA. Ihre Chefs lösen somit ihre innenpolitischen Aufgaben. Sie scheren sich weder um die Ukraine noch um ihr Volk. Sie haben das bereits mehrmals bewiesen."
Es liege aber auf der Hand, dass diese Restriktionen und Einschränkungen sehr lange dauern würden. Der Wesen erwarte, dass Russland einlenke oder dass die russische Wirtschaft zusammenbreche. Dies werde allerdings nicht passieren. Der Westen unterschätze Russland oder übe sich im Wunschdenken.
"Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass man uns aus allen Kräften unter Druck setzt. Wir müssen uns ausschließlich auf unsere eigenen Ressourcen und Intelligenz verlassen. Selbst in den schwierigsten Zeiten haben wir keinem Druck nachgegeben, und der Eiserne Vorhang ist zu keinem Hindernis für uns geworden."
Medwedew zeigte sich zuversichtlich, dass Russland seine Industrie entwickeln und große Löcher in diesen neuen Vorhang machen werde. Eines der Hauptziele der russischen Politik sei es, eigene Produkte und Komponenten zu entwickeln, um ohne ausländische Erzeugnisse, Dienstleistungen und Programme auszukommen. Dies sei eine schwere strategische Aufgabe, die in kurzer Zeit gelöst werden solle. Auch müsse Russland eigene Fachleute ausbilden. Auch der Westen gebe zu, dass es ihm nicht gelungen sei, Russland von der restlichen Welt abzuschneiden.
Ziele der russischen Sonderoperation
Auf die AiF-Frage, ob die Bezeichnung "Brudervölker" in Bezug auf Russen und Ukrainer für immer in Vergessenheit geraten werde, hob Medwedew die engen historischen und kulturellen Bande der beiden Völker hervor. Das Ziel der russischen Sonderoperation sei es eben, den neonazistischen und faschistischen Kräften in der Ukraine Widerstand zu leisten. Diese hätten über mehrere Jahre hinweg die Bevölkerung im Donbass terrorisiert. Die Regierung in Kiew habe den Willen der Donbass-Einwohner, ihre Muttersprache zu sprechen, ignoriert.
"Indem Russland den Volksrepubliken Donezk und Lugansk Hilfe erweist, führt es keinen Kampf gegen das ukrainische Volk. Der Kampf wird gegen abscheuliche Nazis, extremistische Gruppierungen, ausgesprochene Banditen und ausländische Söldner geführt, die sich ihnen angeschlossen haben."
Die russische Armee greife Militärobjekte hoch präzise an. Im Unterschied zu den ukrainischen Nationalisten, die Zivilisten als menschliche Schutzschilde nutzten, greife das russische Militär keine Wohnhäuser an. Gegenüber diesen Schurken dürfe es keine Gnade geben, da sie mit dem ukrainischen Volk nichts zu tun hätten.
"In den vergangenen Jahren hatten es die Ukrainer schwer. Zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten kamen noch verschiedenartige orangenfarbene Revolutionen und Maidan-Proteste, ein Wechsel von zufälligen und sonderbaren Figuren im Präsidentenamt sowie die ständigen Versuche des Westens hinzu, die Ukrainer zu willfährigen Dienern zu machen."
Medwedew zeigte sich zuversichtlich, dass das ukrainische Volk diese Prüfungen bestehen sowie eine bessere Zukunft und starke Führungspersonen wählen werde. Dabei werde ein erfolgreiches ukrainisches Wirtschaftsmodell nicht unbedingt mit einer EU-Mitgliedschaft verbunden sein. Die Chancen der Ukraine, ein EU-Mitgliedstaat zu werden, schätzte der Vizechef des Sicherheitsrates als illusorisch ein.
Russische Kultur
Medwedew ging auch auf die russische Kultur im Kontext des Ukraine-Krieges ein. Sie sei ein unentbehrlicher Teil der ukrainischen und gesamteuropäischen Kultur. Mitunter könne man nicht sagen, in welche Kultur die Schriftsteller Nikolai Gogol, Taras Schewtschenko und Michail Bulgakow einzuordnen seien.
"Literatur, Wissenschaft und Kunst dürfen nicht wie eine Gemeinschaftswohnung in separate Ecken aufgeteilt werden. Das ist unser aller Reichtum, aus dem wir alle unsere kreative Energie schöpfen – unabhängig von der Nationalität, dem Einkommen und den Ansichten."
Die Rolle der Propaganda dürfe nicht überschätzt werden. Menschen blieben immer Menschen, und die Bande der Familie und Freundschaft ließen sich nur schwer trennen.
Freiheit und Unfreiheit
Die Zeitung erinnerte Medwedew an das Motto seiner Präsidentschaft und fragte ihn, ob er nach wie vor glaube, dass Freiheit besser als Unfreiheit sei. Der Vizechef des Sicherheitsrates bekräftigte dieses Motto und erklärte, dass die russische Sonderoperation ausgerechnet aus diesem Grund durchgeführt werde. Sie gelte dem Schutz der Donbass-Bevölkerung sowie der Entmilitarisierung und der Entnazifizierung der Ukraine.