Ein Sympathisant der Boogaloo-Bewegung nimmt bei den BLM-Protesten in Charlotte/North Carolina teil (Bild vom 29. Mai).
Von der breiten Öffentlichkeit wurden sie zum erstem Mal während den Anti-Corona-Protesten nach Ostern wahrgenommen. Mit Hawaiihemden, taktischer Ausrüstung und Hochleistungsgewehren tauchten sie wie aus dem Nichts auf und zeigten sich beispielsweise während der "Operation Gridlock" vor dem Kapitol in Lansing, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Michigan.
Am 1. Mai drangen sie sogar in den Regierungssitz ein und verlangten eine Aufhebung der verhängten Einschränkungen, insbesondere die Ausgangssperre. Sie organisieren sich in sozialen Netzwerken, oftmals über Facebook. Eine Untersuchung des Tech Transparency Project (TTP) fand heraus, dass bis Mitte April 125 Gruppen existierten, die sich zur Boogaloo-Bewegung bekannten und über 72.000 Mitglieder verfügten. Anfang Juni erklärte der Technologiegigant, dass es die Sichtbarkeit der Seiten begrenzen werde, die mit Boogaloo in Verbindung gebracht werden können.
Electric Boogaloo – Der Zweite Bürgerkrieg
Der Begriff stammt aus dem Film "Breakin' 2: Electric Boogaloo" aus dem Jahr 1984. Die Fortsetzung dieses Tanzfilms floppte, aber der Begriff wurde zum Synonym für gefloppte Fortsetzungen. Erst mit der Zeit verwandelte sich der Charakter des Synonyms und wurde bei Onlinediskussionen in den Vereinigten Staaten von Amerika für etwas ganz anderes verwendet: Vom Flopp zum Zweiten Bürgerkrieg, Electric Boogaloo.
Laut Brian Levin vom Center for the Study of Hate and Extremism an der California State University von San Bernardino, benutzen heute hauptsächlich rechte Extremisten diesen Begriff, um künftige bewaffnete Konflikte in den USA zu beschreiben. So wie sich die sogenannten "Prepper" auf Katastrophen vorbereiten, tun das auch die "Boogaloo-Bois".
Mit dem Unterschied aber, dass einige Anhänger nicht nur abwarten wollen, bis der Tag X heranrückt, sondern diesen aktiv herbeiführen wollen. Erst Anfang Juni verhinderte das FBI einen geplanten Anschlag in Las Vegas, bei dem drei Männer die Black-Lives-Matter-Proteste (BLM) nutzen wollten, um durch ihren Angriff Chaos zu stiften und die Polizei dazu zu bringen, in der Folge Gewalt anzuwenden. Alle drei Männer waren ehemalige Angehörige der US-Streitkräfte, genauer gesagt war einer auch Mitglied der Reserve.
Wenige Tage später wurde Steven C. verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, Polizisten eine Falle gestellt zu haben, mit der Absicht sie zu töten. Tatsächlich starb bei dem Anschlag ein Polizist, ein weiterer wurde schwer verletzt. Bei der Vernehmung stellte sich dann heraus, dass der Feldwebel der US-Air Force auch in Verbindung mit weiteren Schießereien im Schatten der BLM-Proteste in Oakland steht, bei denen der Sicherheitsbeamte Dave Underwood ums Leben kam und ein weiterer verletzt wurde.
Das FBI untersuchte daraufhin das Facebook-Konto des mutmaßlichen Täters und stellte fest, dass er im Vorfeld der Oakland-Schießerei Kontakt zu weiteren Personen hatte, die ebenfalls an der Schießerei beteiligt waren. Dabei entdeckten sie, dass Steven C. und weitere Nutzer einer Boogaloo-Gruppe auf Facebook dazu aufriefen, die Energie der Proteste für ihre eigene Zwecke zu nutzen:
Geht zu den Ausschreitungen und unterstützt unsere Sache. Zeigt ihnen die wahren Ziele. Nutzt ihre Wut, um unser Feuer zu schüren. Denkt außerhalb der Box. Wir haben Mobs von wütenden Leuten, die wir für unsere Zwecke nutzen (können).
Die "wahren Ziele" sind laut dem FBI Vertreter der Bundesbehörden, die als "specially soup bois" bezeichnet werden, ein Slang aus der US-Armee der so viel wie "besonders wertlose Jungs" bedeutet. Ein Nutzer erwiderte ihm darauf:
Lets boogie.
Die Absicht hinter den Anschlägen ist augenscheinlich. Steven C. wollte die Polizei während den Protesten zu einem harten Gegenschlag gegen die Protestler provozieren, was wiederum zu einer weiteren Radikalisierung der BLM-Bewegung führen könnte. Die Hoffnung der Boogaloo-Bois ist, dass diese Spirale der gegenseitigen Gewalt dazu führt, dass eine breite Gesellschaftsschicht die US-Regierung mit ihren Exekutivorganen als Feind der Bevölkerung ausmacht und am Ende gewaltsam gegen sie vorgeht.
In einem internen Memo der Heimatschutzbehörde (DHS) vom 29. Mai warnte das Ministerium davor, dass "einheimische terroristischen Akteure" und "anarchistische Extremisten" die Proteste für ihre eigenen Zwecke missbrauchen könnten. Brian Harrell, Vizechef der DHS-Abteilung für Infrastruktursicherheit, nahm explizit Bezug auf den Mord an Dave Underwood und meinte, dass er von "dieser Gewalt sehr bewegt" wäre.
Bis zum Ausbruch der Coronakrise tauschten sie sich hauptsächlich online in verschiedenen Foren und Gruppen aus, aber die verhängten Maßnahmen der Bundesstaaten wie wirtschaftlicher Lockdown und Ausgangssperre überzeugte sie offensichtlich, dass die Zeit gekommen ist, auch im realen Leben in Aktion zu treten.
Obwohl laut Brian Levin viele von ihnen dem rechten und rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen sind, unterstützen sie die BLM-Bewegung, weil sich die übergeordneten Ziele teilweise überlappen und sie einen gemeinsamen "Feind" haben. Aber sie haben keine klare Struktur, keine eigenen Insignien und verwenden keine Symbole. Lediglich das Hawaiihemd scheint aus irgendeinem noch nicht geklärten Grund eine Art Markenzeichen zu sein, die manche von ihnen bei ihren öffentlichen Erscheinungen tragen.
Was den Behörden und Wissenschaftlern gleichermaßen Sorge bereitet, ist, dass viele Militärangehörige – aktive wie auch Veteranen – mit der Boogaloo-Bewegung sympathisieren. Sie könnten der bisher lose in Erscheinung getretenen "Marke" Struktur verschaffen, ein ideologisches Grundgerüst verpassen und eine Miliz aufbauen, die zur einer ernsthaften Bedrohung wird. Nicht nur weil die Bewegung dann organisiert(er) wäre, sondern auch als Auffangbecken für Männer wie Aaron Swenson aus Texarkana/Texas dienen kann – denen, die ihren Platz in der Gesellschaft verloren haben und sich nicht einer Gang oder rechtsradikalen Gruppierung anschließen müssen.
Swenson selbst identifizierte sich mit der Boogaloo-Bewegung auf Facebook und schrieb in einem Post:
Nun, da ich keinen wirklich wichtigen Grund habe ein langes friedliches (pfui) Leben zu leben, … sehne ich mich danach, Teil einer Antwort zu sein.
Am 11. April startete er ein Facebook-Live wo er ankündigte, sich auf die Suche nach einem Polizisten zu begeben, um ihn in eine "Falle zu locken und zu exekutieren". Die Polizei konnte Swenson schließlich stoppen, nachdem sie von Nutzern auf den Livestream aufmerksam gemacht wurden und ihn schließlich auch orten konnten. Bei der Festnahme sicherten sie in seinem Fahrzeug mehrere geladene Waffen.
Es gibt eine klare Kausalität zwischen den Handlungen der Behörden im Zusammenhang mit der Coronakrise und dem Auftreten der Boogaloo-Bois in der Öffentlichkeit. Sie sehen sich ihrer Rechte beraubt und wollen diese verteidigen. Bei den BLM-Protesten waren sie bereits prominenter in Erscheinung getreten als noch zuvor bei den Anti-Corona-Protesten. Nun wird befürchtet, dass sie sich noch mehr exponieren werden, sollte im November Joe Biden die Präsidentschaftswahlen gewinnen.