Gerade Letztere wurden in der Diskussionsrunde immer wieder als vermeintliche Belege genannt, dass russische Geheimdienste wieder töten oder töten lassen, ohne dass es Beweise dafür gibt. Beim Beispiel des „Tiergarten-Mordes“ im August 2019 in Berlin an einem Georgier meinte Journalistin Gerster, Redakteurin der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS). Es gebe zwar keine Beweise, aber die Spur führe „ziemlich eindeutig nach Moskau“. Auch Alexej Hock, Redakteur der Tageszeitung „Die Welt“ behauptete, dass Geheimdienstmorde eine „russische Tradition“ nicht erst seit 1917 seien.
Moderator Nehring erinnerte wiederholt an Beispiele US-amerikanischer Geheimdienste und zählte die gezielten Tötungen durch Drohnen dazu. Ebenso verwies er darauf, dass Israel seit Jahrzehnten mit diesen Mitteln gegen mutmaßliche palästinensische Terroristen vorgeht.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete sprach sich klar gegen den Einsatz gezielter Tötungen aus. Er ist Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr). Das ist für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig und überwacht den BND, den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Geheimdienstmorde sind für ihn Ausdruck der „Hybris der Macht“. Zugleich warnte Sensburg davor, dass diese „wieder in Mode kommen“, nachdem ihre Zahl nach Ende des Kalten Krieges abgenommen hätte.
Der Bundestagsabgeordnete betonte, dass gezielte Tötungen nur Mittel in militärischen Konflikten sein dürften. Zugleich werde es immer schwerer, diese klar einzugrenzen, das sich deren Formen in den letzten Jahren verändert hätten. So seien im Krieg in Afghanistan die Gegner der dort eigesetzten westlichen Truppen nicht immer klar als solche zu erkennen, weil sie sich als Zivilsten tarnen. Auch der zunehmende Einsatz von Drohnen und Söldnertruppen erschwere die klare Unterscheidung.
„Die Grenzen verschwimmen“, stellte Sensburg fest. Zunehmend würden nichtstaatliche Akteure zu solchen Mitteln greifen, wozu er auch rechte Terroristen zählte. Vor deren zunehmenden Aktivitäten warnte der CDU-Abgeordnete und begründete damit auch, warum er sich für gut ausgestatten Sicherheitsbehörden aussprach.
Ex-BND-Chef Schindler, wie Sensburg von Hause aus Jurist, bestätigte, dass die Regeln des Rechtsstaates die Grundlage auch für Geheimdienste seien. Diese dürften aber nicht in ihren Möglichkeiten durch Gerichte eingeschränkt werden. Das sagte er mit Blick auf das derzeitige Verfahren beim Bundesverfassungsgericht gegen die BND-Überwachung bundesdeutscher Staatsbürger im Ausland.
Auf die Frage, was getan werden könne, um Terroristen an Anschlägen zu hindern, meinte der frühere BND-Präsident, nur „Konto einfrieren“. Das sei aber nicht effektiv und reiche nicht, ergänzte er erklärend. Deshalb habe der BND in seiner Amtszeit von 2011 bis 2016 Daten von als Terroristen eingestuften Personen an Geheimdienste anderer Staaten weitergegeben, als diese Personen nach Afghanistan einreisten. Schindler meinte, es sei wichtiger, einen Anschlag zu verhindern als sich an Regeln wie den Datenschutz zu halten.
CDU-Mann Sensburg stimmte dagegen Journalistin Gerster zu, die erklärte, wer gegen die Todesstrafe sei müsse auch gezielte Tötungen durch Drohnen und andere Mittel ablehnen. Auch gegen Terroristen müssten die Mittel des Rechtsstaates eingesetzt werden, forderte die FAS-Redakteurin, und nicht die „Mittel der Mafia“. „Welt“-Redakteur Hock erinnerte daran, dass die gezielten Tötungen nicht so präzise seine, wie ihre Bezeichnung behaupte.
Moderator Nehring fragte gegen Ende des Abends noch einmal bei Schindler nach, warum er sich denn eine eigentliche verbotene deutsche Beteiligung an einer Tötung wie der von bin Laden 2011 gewünscht hätte. Der Ex-Präsident des BND wiederholte, dass er eine solche Aktion richtig finde, wenn es darum gehe, Anschläge zu verhindern. Und fügte hinzu: „Wer in solche Krisengebiete zum Kämpfen reist, der muss auch damit rechnen, umgebracht zu werden.“ Im Fall bin Laden hätte er sich auch über bundesdeutsche Gesetze hinweggesetzt, wenn die US-Geheimdienste um Hilfe gebeten hätten.
Schindler rechnet nicht damit, dass es in der Bundesrepublik vermehrt gezielte Tötungen durch ausländische Geheimdienste geben wird. Für den CDU-Abgeordneten Sensburg sind solche „nicht hinnehmbar“. Geheimdienstmorde gebe es schon immer, erinnerte die Journalistin Gerster mit einem Blick in die Geschichte. Sie habe den Eindruck, dass ausländische Geheimdienste „keinen Respekt vor der deutschen Spionageabwehr“ mehr hätten. Laut „Welt“-Redakteur Hock hat zumindest die Spionagetätigkeit ausländischer Dienste hierzulande wieder deutlich zugenommen.